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The Business of Human Rights

Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Was ist neu

Der Fall Lings gegen Dänemark

Holger Hembach · 9. Mai 2022 ·

Verurteilung wegen Beihilfe zum Suizid verstößt nicht gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung

Der Beschwerdeführer ist Arzt und Gründer einer Organisation, die sich für Sterbehilfe einsetzt, („Ärzte für aktive Sterbehilfe“). Der Fall betraf seine Verurteilung wegen Beihilfe zum Suizid in zwei Fällen und wegen versuchter Beihilfe zum Suizid in einem Fall. Der Beschwerdeführer behauptete jedoch, er habe lediglich Informationen über Suizid verbreitet.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Svend Lings) ist dänischer Staatsangehöriger, wurde 1941 geboren und lebt in Kopenhagen.

Herr Lings ist der Gründer der Organisation Ärzte für aktive Sterbehilfe (Læger for Aktiv Dødshjælp), die sich für assistierten Suizid einsetzt. Unter diesem Deckmantel veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel „Für den Selbstmord geeignete Medikamente“ im Internet, was nach dänischem Recht legal war. Es handelte sich dabei effektiv um einen Leitfaden für die Selbsttötung, mit detaillierten Beschreibungen der verschiedenen Medikamente, der erforderlichen Dosen, der physischen Methoden, usw.

Im Jahr 2017 wurde Herr Lings nach einem Radiointerview, in dem er angab, jemandem bei der Selbsttötung geholfen zu haben aus dem Ärzteregister gestrichen. Später wurde der Beschwerdeführer wegen Beihilfe zum Suizid in zwei Fällen und wegen versuchter Beihilfe zum Suizid in einem Fall angeklagt. Am 26. September 2018 wurde er in zwei Fällen verurteilt. In der Berufungsinstanz hatte der Oberste Gerichtshof von Ostdänemark (Østre Landsret) ihn jedoch in allen drei Anklagepunkten verurteilt. Diese Entscheidung wurde 2019 dann schließlich vom Obersten Gerichtshof bestätigt.

Zu den Tatsachen, für die der Beschwerdeführer verurteilt wurde gehörte die Verschreibung von Medikamenten (Fenemal) an zwei Personen in dem Wissen, dass diese die Absicht hatten, Suizid zu begehen und die Anweisung an eine weitere Person, sich neben einer Überdosis Medikamente zusätzlich eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen. Zwei Personen starben, eine erholte sich später und erlangte trotz der Einnahme der verschreibungspflichtigen Medikamente tatsächlich ihre volle geistige Gesundheit zurück.

Herr Lings wurde schließlich zu einer Freiheitsstrafe von 60 Tagen auf Bewährung verurteilt, wobei sein Alter als mildernder Umstand berücksichtigt wurde.

Beschwerde beim EGMR

Unter Berufung auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention beschwerte sich Herr Lings beim europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dass die endgültige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Dänemark sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt habe. Als Begründung führte er an, lediglich allgemeine Ratschläge zum Thema Selbstmord erteilt zu haben.

Entscheidung des Gerichtshofs

Die Verurteilung des Beschwerdeführers stellte einen nach § 240 (dänisches Strafgesetzbuch) gesetzlich vorgeschriebenen Eingriff dar, der die legitimen Ziele des Schutzes der Gesundheit und der Moral sowie der Rechte anderer verfolgte. Der Gerichtshof stellte fest, dass der Beschwerdeführer nicht nur verurteilt worden war, weil er passiv Beratungs- und Aufklärungsarbeit geleistet hatte, sondern auch, weil er aktiv Medikamente für zwei Personen beschafft hatte.

Der Gerichtshof stellte weiterhin fest, dass die Beihilfe zum Suizid in Dänemark seit 1930 unter Strafe steht. Das einschlägige Gesetz setzt für eine Verurteilung voraus, dass eine konkrete Handlung der Beihilfe zum Selbstmord stattgefunden haben muss. Der Gerichtshof hatte jedoch nicht zu entscheiden, ob die Kriminalisierung der Suizidbeihilfe gerechtfertigt war, sondern nur, ob sie in diesem Fall in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Der EGMR stellte weiterhin in diesem Zusammenhang fest, dass die Behörden die Pflicht haben, gefährdete Mitglieder der Gesellschaft zu schützen. Außerdem biete die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Artikeln 2 und 8 der EMRK keinen Anhaltspunkt für die Schlussfolgerung, dass nach der Konvention ein Recht auf Beihilfe zum Suizid bestehe, auch nicht in Form der Bereitstellung von Informationen oder Hilfeleistung, die noch über die Bereitstellung allgemeiner Informationen über den Suizid hinausgehe. Da der Beschwerdeführer nicht wegen der Bereitstellung allgemeiner Informationen über Suizid, sondern wegen Beihilfe zum Suizid durch konkrete Handlungen strafrechtlich verfolgt worden war, ging es in diesem Fall auch nicht um das Recht des Beschwerdeführers, Informationen bereitzustellen, auf die andere ein Recht haben könnten.

Im vorliegenden Fall sah der Gerichtshof keinen Grund, die Schlussfolgerungen des Obersten Gerichtshofs in Frage zu stellen. In Bezug auf die Anklagepunkte 1 und 2 stellte der Oberste Gerichtshof somit einstimmig fest, dass der Beschwerdeführer den verstorbenen Personen durch konkrete Handlungen Beratung geleistet und Medikamente beschafft hatte, von denen er wusste, dass sie diese zum Selbstmord verwenden würden. Der Gerichtshof war der Ansicht, diese Handlungen fielen eindeutig unter § 240 des (dänischen) Strafgesetzbuches und berührten Artikel 10 der EMRK nicht.

Auch in Bezug auf Anklagepunkt 3 hatte der Oberste dänische Gerichtshof den Beschwerdeführer für schuldig befunden. Dies wurde darauf gestützt, dass er

  • einer Person in spezifischer und erheblicher Weise bei der Selbsttötung geholfen hatte,
  • sein Rat nicht straffrei war, weil er sich auf seinen rechtmäßigen allgemeinen Leitfaden stützte,
  • sein spezifischer Rat in höherem Maße als der allgemeine Leitfaden geeignet war, den Selbstmordwunsch der Person zu verstärken, und
  • seine Verurteilung nicht gegen Artikel 10 der EMRK verstoßen würde.

Als erschwerender Umstand wurde berücksichtigt, dass die Taten in gewissem Umfang systematisch begangen wurden, dass der Beschwerdeführer in drei Fällen angeklagt und die letzte Tat begangen wurde, nachdem er bereits von der Polizei wegen Verstoßes gegen § 240 (dänisches) StGB vorläufig angeklagt worden war. Das hohe Alter des Beschwerdeführers wurde als mildernder Umstand gewertet.

Der EGMR war der Ansicht, dass die Gründe, auf die sich der Oberste dänische Gerichtshof stützte, als er feststellte, dass die Taten unter § 240 des (dänischen) StGB fielen, stichhaltig und ausreichend waren. Auch seien unter den gegebenen Umständen und der Tatsache, dass die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, die Verurteilung und das Strafmaß nicht übermäßig gewesen.

In Anbetracht all dieser Erwägungen seien die von den innerstaatlichen Gerichten und zuletzt vom Obersten Gerichtshof angeführten Gründe sowohl stichhaltig als auch ausreichend, um festzustellen, dass der beanstandete Eingriff als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ und den verfolgten Zielen angemessen angesehen werden konnte und dass die Behörden des beklagten Staates innerhalb ihres Ermessensspielraums gehandelt hatten, nachdem sie die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs dargelegten Kriterien berücksichtigt hatten.

Der Gerichtshof entschied einstimmig, dass keine Verletzung der EMRK vorlag.

Der Fall A.A. und andere gegen Nordmazedonien

Holger Hembach · 11. April 2022 ·

Urteil vom 5.4.2022 – Massen-Pushback verstößt nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention

Hintergrundinformationen

Im Laufe des Jahres 2014 stieg die Zahl der Migranten, die unter anderem aus Afghanistan, dem Irak und Syrien kamen und versuchten, verschiedene Länder der Europäischen Union zu erreichen, erheblich an. Eine der häufig genutzten Routen war die sogenannte „Balkanroute“, die von der Türkei über Griechenland in die damalige ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und dann über Serbien in die Europäische Union führte. Als Reaktion auf den Zustrom von Geflüchteten verfolgten die Länder entlang der Route eine „Durchreisestrategie“, wobei sie die Migranten größtenteils passieren ließen. In der zweiten Jahreshälfte 2015 wurden die anhaltenden irregulären Migrantenströme besorgniserregend und veranlassten die Europäische Union, sich mit der Situation zu befassen. Am 8. März 2016 trat ein Beschluss in Kraft, der die Einreise und den kontrollierten Transit von Migranten, die die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllten oder in Nordmazedonien kein Asyl beantragten, verhinderte.

Sachverhalt

Die Beschwerdeführer sind fünf syrische Staatsangehörige, zwei irakische Staatsangehörige und ein afghanischer Staatsangehöriger, die ihre Heimatländer verließen und nach Griechenland flohen. Dort gehörten sie zu zwei großen Gruppen von Geflüchteten, die am 14. März 2016 ein Lager in der griechischen Grenzstadt Idomeni verlassen hatten, um sich dem sogenannten „Marsch der Hoffnung“ anzuschließen, bei dem sie einen Fluss durchquerten, um in das Hoheitsgebiet Nordmazedoniens zu gelangen. Wenig später wurde die Gruppe von Soldaten abgefangen, die ihnen angeblich mit Gewalt drohten und ihnen befahlen nach Griechenland zurückzukehren. Daraufhin überquerte die Gruppe zu Fuß die Grenze zurück nach Griechenland.

Die Beschwerdeführer richteten sich mit ihrem Antrag gegen ihre Massenabschiebung, da kein Fall individuell geprüft worden sei und sie nicht die Möglichkeit gehabt hätten effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Dabei beriefen sie sich auf Art. 4 des Protokolls Nr. 4 (Verbot der Kollektivausweisung) und Art. 13 der EMRK (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf).

Überlegungen des Gerichts

Die Beschwerdeführer waren aus dem beklagten Staat abgeschoben worden, ohne dass sie von den Behörden Nordmazedoniens einem Identifizierungsverfahren oder einer Prüfung ihrer persönlichen Situation unterzogen wurden. Dies legt den Schluss nahe, dass ihre Ausweisung kollektiven Charakter hatte, es sei denn, die fehlende Prüfung ihrer Situation war auf ihr eigenes Verhalten zurückzuführen. Der Gerichtshof prüfte daher, ob das Fehlen individueller Abschiebungsentscheidungen durch das eigene Verhalten der Beschwerdeführer gerechtfertigt werden konnte.

Die Beschwerdeführer gehörten zu zwei großen Gruppen von Migranten, die die Grenze Nordmazedoniens unerlaubt überschritten hatten. Es gab jedoch keine Anzeichen dafür, dass die Antragsteller oder andere Personen aus der Gruppe Gewalt angewendet oder sich den Beamten widersetzt hätten.

Das Gericht prüfte dennoch, ob die Kläger durch den illegalen Grenzübertritt ein wirksames Verfahren zur legalen Einreise umgangen hatten.

Das mazedonische Recht habe den Antragstellern die Möglichkeit eingeräumt, an den Grenzübergängen in das Hoheitsgebiet des beklagten Staates einzureisen, wenn sie die Einreisekriterien erfüllt hätten. Falls dies nicht der Fall gewesen sei, hätten die Beschwerdeführer Asyl beantragen oder zumindest erklären können, dass sie die Absicht hätten, Asyl zu beantragen. Darauf hätte eine Prüfung der individuellen Umstände jedes Antragstellers und eine Entscheidung über die Ausweisung erfolgt. Gegen eine Ausweisungsentscheidung hätte ein Rechtsbehelf eingelegt werden können.

Zwischen dem 19. Juni 2015 und dem 8. März 2016 seien laut dem beklagten Staat fast 500.000 Bescheinigungen über eine geäußerte Absicht, einen Asylantrag zu stellen, ausgestellt worden, von denen die große Mehrheit an dieselben Nationalitäten wie die Antragsteller im vorliegenden Fall vergeben worden sei.

Der dem Lager nächstgelegene Grenzübergang, der Bogorodica-Grenzübergang, war dabei einer der beiden am stärksten frequentierten Grenzübergänge, an dem bis Ende Dezember 2015 mehr als 300.000 Zertifikate ausgestellt worden waren. Es gab zwar keine spezifischen Informationen über die Verfügbarkeit von Dolmetschern, aber es hatte nicht in Frage gestanden, dass einige Dolmetscher vor Ort waren.

Somit habe nicht nur eine rechtliche Verpflichtung zur Annahme von Asylanträgen und entsprechend geäußerter Absichten bestanden, sondern auch eine tatsächliche Möglichkeit, dies zu tun.

Die Beschwerdeführer hatten dagegen vorgetragen, dass es ihnen zum Zeitpunkt ihrer summarischen Abschiebung, d.h. am oder um den 14. und 15. März 2016, nicht möglich gewesen sei, am Grenzübergang Bogorodica Asyl zu beantragen, da die einschlägigen Daten bestätigten, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Bescheinigungen über eine geäußerte Absicht, Asyl zu beantragen, ausgestellt worden waren.

Der Gerichtshof stellte fest, dass nach dem 8. März 2016 die Durchreise aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweise der EU-Länder an das Problem der ständig steigenden Zahl von Migranten und der Reaktion anderer Länder entlang der Balkanroute faktisch nicht mehr möglich war. Es gab jedoch keinen Hinweis darauf, dass es nicht mehr möglich gewesen wäre, am Grenzübergang Asyl zu beantragen.

Nichts deutete darauf hin, dass potenzielle Asylbewerber in irgendeiner Weise daran gehindert worden waren, sich den legalen Grenzübergängen zu nähern und einen Asylantrag zu stellen. Es deute auch nichts darauf hin, dass die Beschwerdeführer versucht hatten, am Grenzübergang Asyl zu beantragen und zurückgeschickt worden waren. Die Beschwerdeführer in der vorliegenden Rechtssache hatten nicht einmal behauptet, dass sie jemals versucht hätten, auf legalem Wege in mazedonisches Hoheitsgebiet einzureisen. Daher war das Gericht nicht davon überzeugt, dass sie die erforderlichen stichhaltigen Gründe dafür gehabt hätten, den Grenzübergang Bogorodica oder eine andere Grenzübergangsstelle zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht zu benutzen, um in ordnungsgemäßer und rechtmäßiger Weise Gründe gegen ihre Ausweisung vorzubringen. Daraus ergebe sich, dass sie nicht daran interessiert gewesen seien, in dem beklagten Staat Asyl zu beantragen, sondern nur an der Durchreise, die nicht mehr möglich gewesen sei, und sich daher für die illegale Einreise entschieden hätten.

Aus diesen Gründen habe es der Staat trotz einiger Mängel im Asylverfahren und angeblicher Zurückschiebungen nicht versäumt, einen echten und wirksamen Zugang zu Verfahren für die legale Einreise nach Nordmazedonien zu gewähren, insbesondere durch die Einrichtung eines internationalen Schutzes an den Grenzübergangsstellen. Dass die Beschwerdeführer zwingende, auf objektiven, vom beklagten Staat zu vertretenden Tatsachen beruhende Gründe gehabt hätten, diese Verfahren nicht in Anspruch zu nehmen, sei nicht ersichtlich.

Vielmehr hätten sich die Antragsteller durch ihre Beteiligung an der illegalen Einreise in das mazedonische Hoheitsgebiet unter Ausnutzung der zahlenmäßigen Überlegenheit der Gruppe selbst in Gefahr gebracht. Das Fehlen individueller Abschiebungsentscheidungen sei eine Folge ihres eigenen Verhaltens gewesen.

Entscheidung des EGMR

Der Gerichtshof stellte schließlich einstimmig fest, dass kein Verstoß gegen Artikel 13 EMRK in Verbindung mit Artikel 4 des Protokolls Nr. 4 über die Verfügbarkeit eines wirksamen Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung zur Anfechtung der summarischen Abschiebung vorliege. Das mazedonische Recht sehe eine Rechtsmittelmöglichkeit gegen Abschiebungsanordnungen vor. Indem sie jedoch bewusst versucht hätten, als Teil einer großen Gruppe und an einem nicht genehmigten Ort in das Hoheitsgebiet einzureisen, hätten sich die Antragsteller in eine rechtswidrige Situation begeben und sich somit dafür entschieden, die bestehenden rechtlichen Verfahren nicht zu nutzen.

Neue Frist für Beschwerden beim EGMR

Holger Hembach · 13. Februar 2022 ·

Seit 01.02.2022 gilt eine neue Frist für Beschwerden beim EGMR. Sie beträgt vier Monate. In Fällen, in denen die letzte Entscheidung auf nationaler Ebene vor dem 01.02.2022 ergangen ist, gilt weiterhin die alte Frist von sechs Monaten.

Ursprünglich galt für Beschwerden beim EGMR eine Frist von sechs Monaten. Diese Frist wurde durch das 15. Zusatzprotokoll zur EMRK verkürzt. Durch Zusatzprotokolle zur EMRK können Regeln geändert werden, die das Verfahren beim EGMR betreffen. Sie treten in Kraft, wenn alle Mitgliedsstaaten des Europarates sie unterzeichnet haben.

Das 15. Zusatzprotokoll trat am 01.08.2021 in Kraft. Es sieht eine Übergangsregelung vor. Diese besagt, dass die neue Frist für Entscheidungen gilt, wenn die Entscheidung über das letzte Rechtsmittel auf nationaler Ebene vor dem 01.02.2022 ergangen ist. Dadurch soll gewährleistet werden, dass mögliche Beschwerdeführer sich auf die neue Frist einstellen können und nicht eine bereits laufende Frist verkürzt wird.

Die Verkürzung der Frist soll dazu dienen, den Gerichtshof zu entlasten und schneller Rechtssicherheit zu schaffen.

Der Fall Standard Verlagsgesellschaft g. Österreich

Holger Hembach · 13. Dezember 2021 ·

Überblick

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin/Herausgeberin einer Tageszeitung, die in gedruckter Form, digitaler Form (als „E-Paper“) und in einer Online-Version erscheint. Ihr Online-Nachrichtenportal enthält verschiedene Artikel, sowie Diskussionsforen zu diesen Artikeln, zu denen registrierte Nutzer Kommentare abgeben können. Nachdem unter zwei Artikeln, die die Verlagsgesellschaft auf ihrem Portal veröffentlicht hatte, beleidigende Kommentare über zwei Politiker und eine politische Partei auftauchten, wurde sie in zwei Rechtsmittelverfahren verurteilt, die Daten der Verfasser der Kommentare offen zu legen. Die inländischen Gerichte lehnten es ab, diese als journalistische Quellen zu betrachten. Die Verlagsgesellschaft rügte, dass dadurch das Recht auf Pressefreiheit nach Artikel 10 EMRK verletzt worden sei.

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin ist die Standard Verlagsgesellschaft mbH, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Wien. Sie verlegt die Zeitung „Der Standard“ und betreibt ein Online-Nachrichtenportal mit Artikeln und Diskussionsforen unter derStandard.at. Bei der Registrierung als Benutzer auf der Website, die das Kommentieren von Artikeln ermöglicht, mussten Personen ihren Namen, ihre E-Mail-Adresse und optional ihre Postanschrift angeben. Die Website regelte, dass die Informationen nicht öffentlich einsehbar sind und dass die Verlagsgesellschaft diese nur offenlegen würde, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben sei. Die Diskussionsforen wurden teilweise moderiert. Außerdem wurden Regeln für die Kommentierung und Moderation festgelegt. Nach Angaben der Beschwerdeführerin überprüfte sie um die 6.000 Kommentare pro Tag und habe viele davon auch gelöscht.

2012 wurde ein Beitrag auf der Website veröffentlicht, in dem es um K.S., welcher zu der Zeit ein Vorsitzender der Freiheitlichen in Kärnten [FKP] (einer regionalen politischen Partei) war. Auf diesen Artikel folgten mehr als 1600 Nutzerkommentare. Einer der Kommentare lautete wie folgt: „Korrupte Polit-Arschlöcher vergessen, wir nicht WAHLTAG IST ZAHLTAG!!!!!“, Ein anderer lautete: „War zu erwarten, dass FPOe/K, … -Gegner über die Stränge schlagen. Wäre nicht passiert, wenn diese Parteien verboten worden wären wegen ihrer dauernden Nazi-wiederbelebung)“

K.S. und die FPK forderten daraufhin die persönlichen Daten der Kommentatoren an und das Entfernen der Kommentare. Die Verlagsgesellschaft löschte zwar die Kommentare, weigerte sich jedoch die persönlichen Daten der Nutzer herauszugeben.

2013 wurde ein Interview mit H.K. (damals ein Mitglied der Freiheitlichen Partei Österreichts – FPÖ) als Online-Artikel von der Verlagsgesellschaft veröffentlicht. Folgender Kommentar wurde unter den Beitrag gepostet: „würden wir nicht ewig meinungsfreiheit falsch verstehen und wäre das sägen an der verfassung und das destabilisieren unserer staatsform konsequent unter strafe gestellt, oder wäre wenigstens der mafiaparagraf einmal angewendet worden auf die rechtsextreme szene in österreich, dann wäre [H.K.] einer der größten verbrecher der 2ten republik …“ Auch hier löschte die Verlagsgesellschaft den Kommentar, weigerte sich aber die Nutzerdaten herauszugeben.

Verfahren vor den nationalen Gerichten

K.S. sowie die FPK und H.K. leiteten getrennte Verfahren gegen die Beschwerdeführerin ein, um die Nutzerdaten der Verfasser der Kommentare zu erlangen und zivil- und strafrechtliche Schritte gegen sie einzuleiten. Im Fall von K.S. und der FPK ordnete der Oberste Gerichtshof in Österreich schließlich die Herausgabe der Nutzerdaten an. Die Herausgabe der Nutzerdaten an die Kläger sei ein zulässiger Eingriff in die Pressefreiheit der Verlagsgesellschaft, da kein Zusammenhang mit einer journalistischen Tätigkeit bestünde. Die Kläger hätten ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Herausgabe der Daten nachgewiesen. In der Rechtssache H.K. ordnete der Oberste Gerichtshof ebenfalls die Herausgabe der Nutzerdaten an, wobei er sich weitgehend auf die gleiche Argumentation wie in der ersten Entscheidung stützte.

Verfahren vor dem EGMR

Am 7.8.2015 legte die Verlagsgesellschaft Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein.

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die fraglichen Nutzerdaten journalistische Quellen darstellten und daher ebenso durch das Redaktionsgeheimnis geschützt seien wie die Daten der Verfasser von Leserbriefen in einer Zeitung. Es argumentierte auch, dass der Oberste Gerichtshof die besonderen Umstände der Kommentare nicht berücksichtigt und die konkurrierenden Rechte nicht abgewogen hätte, wie es die
Rechtsprechung des Gerichtshofs erfordere.

Die Regierung Österreichs argumentierte, dass die Rolle der Beschwerdeführerin als Host-Provider, die ein Diskussionsforum auf ihrer Website anbiete, sich von ihrer Rolle als Herausgeberin von Artikeln unterscheide. Als Host-Provider sei sie nach dem E-Commerce-Gesetz verpflichtet, bestimmte Daten an Personen weiterzugeben, die glaubhaft ein überwiegendes rechtliches Interesse geltend machen könnten.

Das Gericht stellte fest, dass die Kommentatoren, da sie sich an die Öffentlichkeit und nicht an einen Journalisten gewandt hatten, nicht als journalistische „Quellen“ angesehen werden können. Es bestand jedoch eine Verbindung zwischen der Veröffentlichung von Artikeln durch die Beschwerdeführerin und dem Einstellen von Kommentaren zu diesen Artikeln auf ihrem Nachrichtenportal. Nach Ansicht des EGMR bestand die allgemeine Funktion der Beschwerdeführerin darin, die offene Diskussion zu fördern und Ideen zu Themen von öffentlichem Interesse zu verbreiten, was durch die Pressefreiheit geschützt ist. Der Gerichtshof vertrat auch die Auffassung, dass eine Verpflichtung zur Offenlegung von Nutzerinformationen eine abschreckende Wirkung auf den Beitrag zur Debatte hätte. Er bekräftigte, dass die Konvention kein absolutes Recht auf Online-Anonymität vorsieht. Anonymität war jedoch lange Zeit ein Mittel, um Repressalien oder unerwünschte Aufmerksamkeit zu vermeiden. Als solches sei sie geeignet, den freien Fluss von Meinungen, Ideen und Informationen zu fördern, insbesondere auch im Internet. Der Gerichtshof stellte fest, dass diese Anonymität nicht wirksam wäre, wenn die Beschwerdeführerin sie nicht mit ihren eigenen Mitteln verteidigen könnte. Die Aufhebung der Anonymität habe daher in das Recht der Beschwerdeführerin auf Pressefreiheit eingegriffen.

Zwischen den Parteien war unstrittig, dass der Eingriff gesetzlich vorgeschrieben war und dem legitimen Ziel diente, den Ruf und die Rechte anderer zu schützen. Der EGMR stellte jedoch fest, dass der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig gewesen sei.

Der Oberste Gerichtshof habe bei seiner Entscheidung nicht richtig abgewogen. Die Bedeutung einer ausreichenden Interessenabwägung ergebe sich insbesondere wenn es um politische Äußerungen und Debatten von öffentlichem Interesse geht. Diese Problematik spiegelt sich nicht nur in der langjährigen Rechtsprechung des Gerichtshofs wider, sondern auch in der internationalen Rechtsprechung zu Internet-Vermittlern, wonach die Offenlegung von Nutzerdaten erforderlich und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel stehen muss. Einem potenziellen Opfer einer verleumderischen Äußerung müsse ein effektiver Zugang zu einem Gericht gewährt werden, damit es seine Ansprüche vor diesem Gericht geltend machen könne. Die innerstaatlichen Gerichte müssten vor der Entscheidung über die Offenlegung der Daten zur Identität des Verfassers gemäß ihren positiven Verpflichtungen aus den Artikeln 8 und 10 der Konvention die auf dem Spiel stehenden widerstreitenden Interessen abwägen. Im vorliegenden Fall umfassten diese Interessen das Recht der Kläger, ihren Ruf zu schützen, und das Recht des klagenden Unternehmens auf Pressefreiheit sowie seine Rolle beim Schutz der personenbezogenen Daten der Verfasser der Kommentare und der Freiheit, ihre Meinung öffentlich zu äußern.

Nach Ansicht des Gerichtshofs wiege der angefochtene Eingriff im vorliegenden Fall (Pflicht zur Offenlegung von Nutzerdaten) bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung weniger schwer als der Eingriff in einem Fall, in dem ein Medienunternehmen zivil- oder strafrechtlich für den Inhalt eines bestimmten Kommentars haftbar gemacht wird, indem es mit einer Geldstrafe belegt oder zur Löschung des Kommentars verpflichtet wird. Folglich akzeptierte der Gerichtshof, dass für eine Abwägung in Verfahren, die die Weitergabe von Nutzerdaten betreffen, eine prima-facie-Prüfung ausreichen könnte und dass den nationalen Gerichten ein gewisser Ermessensspielraum zusteht, auch wenn dieser eng ist, wenn es um politische Äußerungen geht. Doch selbst eine prima-facie-Prüfung erfordere eine gewisse Argumentation und Abwägung.

Die Äußerungen über die Kläger seien zwar ernsthaft beleidigend gewesen, hätten aber weder Hassreden oder Aufforderungen zur Gewalt dargestellt, noch seien sie anderweitig eindeutig rechtswidrig gewesen. Sie waren im Rahmen einer öffentlichen Debatte über Fragen von legitimem öffentlichem Interesse geäußert worden, nämlich über das Verhalten der betreffenden Politiker in ihrer öffentlichen Funktion und über ihre eigenen auf demselben Nachrichtenportal veröffentlichten Kommentare. Da solche Kommentare als politische Äußerungen eingestuft werden könnten, war es besonders bedenklich, dass die Berufungsgerichte und der Oberste Gerichtshof keine Abwägung vorgenommen hatten. Eine solche Abwägung sei zwar eher in einem Verfahren gegen den Verfasser der angeblich ehrverletzenden Äußerungen und nicht in einem Verfahren gegen den betreffenden Diensteanbieter vorzunehmen. Das Fehlen einer solchen Abwägung habe aber die Funktion der Anonymität als Mittel zur Vermeidung von Repressalien oder unerwünschter Aufmerksamkeit und damit die Rolle der Anonymität bei der Förderung des freien Flusses von Meinungen, Ideen und Informationen geschädigt. In Ermangelung der erforderlichen Abwägung wurden die Entscheidungen der Berufungsgerichte und des Obersten Gerichtshofs nicht durch relevante und ausreichende Gründe gestützt, um den Eingriff zu rechtfertigen. Die Beschwerdeführerin sei demnach in ihren Rechten nach Art. 10 EMRK verletzt.

Der Gerichtshof entschied, dass Österreich der Verlagsgesellschaft 17.000€ als Kosten- und Aufwandsentschädigung zu zahlen habe.

Der Fall Roisin Shortall und andere g. das Vereinigte Königreich

Holger Hembach · 29. November 2021 ·

In seiner Entscheidung im Fall Shortall und andere gegen Irland hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Antrag einstimmig für unzulässig erklärt. Die Entscheidung ist endgültig.
Der Fall betraf die religiöse Sprache in den Erklärungen, die gemäß der irischen Verfassung für das Amt des irischen Staatspräsidenten und für die Mitglieder des Staatsrats erforderlich sind. Die Kläger beschwerten sich gemäß Artikel 9, dass das Erfordernis einer religiösen Erklärung ihre Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit verletze.
Der Gerichtshof erklärte die Anträge für unzulässig, da die Antragsteller nicht hinreichend und überzeugend nachgewiesen hatten, dass sie Gefahr liefen, von diesen Anforderungen unmittelbar betroffen zu sein, und daher nicht behaupten konnten, Opfer einer Verletzung der Konvention zu sein.

Wichtigste Fakten:

Die Kläger, Róisín Shortall, John Brady, Fergus Finlay, David McConnell und David Norris, sind irische Staatsangehörige, die zwischen 1944 und 1973 geboren wurden. Alle Beschwerdeführer sind irische Politiker*innen und Mitglieder der Zivilgesellschaft. Frau Shortall und Herr Brady sind Mitglieder des Dáil Éireann (des Unterhauses des irischen Parlaments) und Herr Norris ist Mitglied des Seanad Eireann (des Oberhauses). Frau Shortall ist Vorsitzende der Sozialdemokraten, Herr Brady ist Mitgleid der Sinn Fein, Herr Finlay ist Mitglied der Labour Party und ein prominenter politischer Aktivist, der sich bei den Wahlen 2011 erfolglos um die Nominierung seiner Partei für die Präsidentschaft beworben hat. Norris ist ein unabhängiger Senator, der 2011 erfolglos für das Präsidentenamt kandidierte. McConnell ist Professor für Genetik und ehemaliger Präsident der Humanistischen Gesellschaft Irlands, der im Vorstand eines Krankenhauses und einer nationalen Zeitung tätig war.

Die irische Verfassung sieht vor, dass der Präsident Irlands als Staatsoberhaupt Vorrang vor allen anderen Personen hat. Der Präsident wird in einer Volksabstimmung gewählt. Jeder irische Staatsbürger über 35 Jahre ist wählbar, aber gemäß Artikel 12.4.2 muss ein Kandidat entweder von zwanzig Parlamentariern oder von vier lokalen Gebietskörperschaften nominiert werden, um sich zur Wahl zu stellen. Die Verfassung schreibt vor, dass der Präsident sein Amt mit einer Erklärung antritt, die die folgenden Worte enthält: „Im Angesicht des allmächtigen Gottes […] Möge Gott mich leiten und unterstützen.“ Der Präsident wird von einem Staatsrat beraten, der sich aus bestimmten politischen und richterlichen Amtsträgern sowie aus sieben Mitgliedern zusammensetzt, die er nach seinem „freien Ermessen“ ernennt. Nach der Verfassung müssen alle Mitglieder des Staatsrats eine Erklärung abgeben, die die folgenden Worte enthält: „Im Angesicht des allmächtigen Gottes…“. Das Erfordernis eines religiösen Eids wurde vom Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen kritisiert. Mehrere innerstaatliche Gremien, die mit der Prüfung von Verfassungsreformen betraut sind, darunter Parlamentsausschüsse und der Verfassungskonvent, haben diese Formulierung kritisiert und ihre Streichung oder die Einführung einer säkularen Alternative vorgeschlagen.

Beschwerdebegründung

Die Beschwerde wurde am 11. Oktober 2018 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
Unter Berufung auf Artikel 9 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) der Europäischen Menschenrechtskonvention machten die Kläger geltend, dass sie aufgrund ihrer politischen Laufbahn und ihrer Bekanntheit in der Öffentlichkeit die Wahl zur Präsidentschaft anstreben oder in den Staatsrat eingeladen werden könnten. Die religiösen Elemente der in den Artikeln 12.8 und 31.4 der Verfassung geforderten Erklärungen stünden jedoch im Widerspruch zu ihren Überzeugungen und würden sie entweder daran hindern, diese Ämter zu bekleiden, oder von ihnen verlangen, eine religiöse Erklärung gegen ihr Gewissen abzugeben.

Entscheidung des Gerichtshofs

Der Gerichtshof wies erneut darauf hin, dass ein Beschwerdeführer nach Artikel 34 der Konvention nur dann behaupten kann, Opfer einer Verletzung zu sein, wenn er von der angefochtenen Maßnahme unmittelbar betroffen ist. Die Konvention erlaube es den Beschwerdeführern nicht, eine innerstaatliche Rechtsvorschrift allein deshalb zu beanstanden, weil sie, ohne von ihr unmittelbar betroffen zu sein, der Ansicht sind, dass sie gegen die Konvention verstoßen könnte.
Der Gerichtshof hatte zuvor anerkannt, dass Beschwerdeführer unter bestimmten Umständen potenzielle Opfer sein können. Um jedoch behaupten zu können, ein potenzielles Opfer zu sein, musste ein Beschwerdeführer vernünftige und überzeugende Beweise für die Wahrscheinlichkeit vorlegen, dass es zu einer Verletzung kommen würde, von der er persönlich betroffen war; ein bloßer Verdacht oder eine Vermutung reichten nicht aus.
Was die für die Mitglieder des Staatsrats vorgeschriebene Erklärung betrifft, so müsste jeder Beschwerdeführer, um seine unmittelbare Betroffenheit nachzuweisen, darlegen, dass seine Ernennung in den Rat eine realistische Möglichkeit darstellt. Keiner der Beschwerdeführer war eingeladen worden oder hatte behauptet, dass eine solche Ernennung in Erwägung gezogen wurde. Herr Finlay und Herr Norris hatten sich nicht zu dieser Frage geäußert. Die übrigen Beschwerdeführer hatten angegeben, dass ihre derzeitige oder künftige Erfahrung sie für den Dienst qualifiziere. In Anbetracht der Tatsache, dass derartige Ernennungen ausschließlich nach Ermessen erfolgen, hielt das Gericht ihre Behauptungen jedoch für spekulativ. Daraus folgt, dass keiner der Beschwerdeführer vernünftige und überzeugende Beweise dafür erbracht hat, dass einer von ihnen aufgrund dieser Anforderung persönlich betroffen sein könnte.

In Bezug auf die Präsidentschaft vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass der Kreis der Personen, die sich als Opfer einer Anforderung bezeichnen können, die nur bei der Wahl in das höchste Amt des Staates gilt, notwendigerweise sehr viel enger sein muss als in anderen Fällen, in denen der Gerichtshof einen breiten Kreis potenzieller Opfer akzeptiert hat (z. B. in Open Door und Dublin Well Woman gegen Irland). Herr McConnell und Herr Norris hatten kein Interesse an einer künftigen Kandidatur für das Präsidentenamt bekundet. Die übrigen Beschwerdeführer hatten ihr Interesse sehr allgemein geäußert, aber angedeutet, dass es für sie sinnlos wäre, sich zur Wahl zu stellen, da sie das Amt im Falle ihrer Wahl nicht übernehmen könnten. Keiner der Beschwerdeführer hatte versucht nachzuweisen, dass er oder sie unter Berücksichtigung der eigenen politischen Verhältnisse und der Anforderungen der Verfassung realistische Aussichten auf eine erfolgreiche Kandidatur für dieses Amt hätte.

Das Gericht vertrat daher die Auffassung, dass keiner der Beschwerdeführer hinreichende und überzeugende Beweise dafür vorgelegt hatte, dass er tatsächlich Gefahr läuft, durch die Anforderungen der Verfassung in Bezug auf die Ablegung des Eides unmittelbar betroffen zu sein und wies die Beschwerden aller fünf Beschwerdeführer als unzulässig zurück.

Der Gerichtshof führte allerdings weiter aus, dass die Mitgliedstaaten in Fragen des Verhältnisses zwischen Staat und Religion zwar über einen weiten Ermessens- und Beurteilungsspielraum verfügten, dieser jedoch unter europäischer Aufsicht stünde. Die Bezugnahme eines Staates auf eine Tradition könne ihn nicht von seiner Verpflichtung entbinden, die in der Konvention verankerten Rechte und Freiheiten zu achten.



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