Das Gesetz stammt aus dem Jahre 1789 – und doch ist es ein zentrales Thema in der heutigen Diskussion über die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen. Die Rede ist vom amerikanischen „Alien Tort Statute“. Dieses sieht vor, dass Nicht-Amerikaner vor amerikanischen Gerichten klagen können, wenn sie durch eine Verletzung internationalen Rechts einen Schaden erlitten haben.
Nach dem Wortlaut des Gesetzes gilt das unabhängig davon, ob der Verstoß gegen die internationalen Rechtsnormen in den USA begangen wurde und ob US-Bürger dafür verantwortlich sind. Die Vorschrift begründet also – zumindest auf den ersten Blick – eine weltweite Zuständigkeit amerikanischer Gerichte für Verletzungen internationalen Rechts. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben deshalb in mehreren Fällen Geschädigte und Nichtregierungsorganisationen versucht, Unternehmen für Verletzungen internationaler Menschenrechte (und anderer Normen des internationalen Rechts) in den USA zur Verantwortung zu ziehen. Die juristische Auseinandersetzung drehte sich dabei immer wieder um zwei Punkte:
– Sind amerikanische Gerichte wirklich unabhängig davon zuständig, ob der Fall irgendeinen Bezug zu den USA hat?
– Können Unternehmen für die Verletzung internationalen Rechts haftbar gemacht werden?
Zunächst beurteilten verschiedene Gerichte in den USA diese Fragen unterschiedlich. Der Supreme Court entschied aber im Fall Kiobel gegen Royal Dutch Petroleum, dass amerikanische Gerichte nur zuständig seien, wenn der Sachverhalt einen klaren Bezug zu den USA habe (die Kläger in dem Fall behaupteten, Royal Dutch Petroleum sei mitverantwortlich für die brutale Unterdrückung von Protesten gegen die Umweltverschmutzung im Nigerdelta; der Supreme Court befand, dies „betreffe und berühre“ nicht die USA).
Die zweite Frage, ob Unternehmen grundsätzlich für die Verletzung internationalen Rechts haftbar gemacht werden können, ließ der Gerichtshof dagegen offen. Mit ihr wird er sich im Fall „Jesner gegen Arab Bank“ befassen, in dem im Oktober eine mündliche Verhandlung stattfand (die Kläger werfen einer Bank vor, zur Finanzierung des Terrorismus beigetragen und so den Tod zahlreicher Menschen verursacht zu haben).
Die Entscheidung könnte weitreichende Folgen haben. Denn sie berührt nicht nur das Verständnis des Alien Tort Statute, sondern eine wichtige Frage in der Diskussion um internationale Menschenrechte: Nach klassischem Verständnis verpflichten diese nur Staaten – und nur Staaten können für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden. Allerdings wird zunehmend die Frage aufgeworfen, ob diese Beschränkung noch sachgemäß ist. Kritiker weisen darauf hin, dass Unternehmen selbst Menschenrechte wie beispielsweise das Recht auf Meinungsfreiheit oder das Recht auf Eigentum für sich in Anspruch nähmen. Daher sei es nur konsequent, sie auch für die Verletzung der Rechte anderer in die Pflicht zu nehmen. Auch seien internationale Großkonzerne in vielen Bereichen einflussreicher als kleinere Staaten. Mit dieser Macht müsse auch eine entsprechende Verantwortung einhergehen.
Sollte der Supreme Court entscheiden, dass Unternehmen nicht für die Verletzung internationalen Rechts haften, wäre das sicher ein Rückschlag für die Vertreter dieser Auffassung. Ein Urteil im gegenteiligen Sinne würde dagegen nicht nur Unternehmen Haftungsrisiken in den USA aussetzen – es wäre längerfristig wohl auch ein wichtiger Schritt zur Anerkennung der juristischen Verantwortung von Unternehmen für die Verletzung von Menschenrechten.