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The Business of Human Rights

Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Kafala

Keine Pflicht zur Anerkennung einer Kafala nach Artikel 8 EMRK – Chbihi Loudoudi und andere g. Belgien

Holger Hembach · 23. Januar 2015 ·

Im Fall Chbihi Loudoudi und andere g. Belgien hat der Europäische Gerichthof für Menschenrechte sich mit der Anerkennung der Aufnahme eines Kindes in eine Familie im Rahmen einer sogenannte „kafala“ auseinandergesetzt. Er hat klargestellt, dass familiäre Bindungen auch dann bestehen können, wenn keine gesetzlich geschützte Beziehung zwischen den Beteiligten vorliegt. Ausserdem hat er ausgeführt, dass aus der Europäischen Menschenrechtskonvention keine Pflicht des Staates folgt, traditionelle Adoptionen rechtlich anzuerkennen. Schliesslich geht die Entscheidung auch auf die Frage ein, ob die Gewährung eines beschränkten Aufenthaltsrechtes mit dem Recht auf Privatleben zu vereinbaren ist.

Sachverhalt:

Drei Beschwerdeführer hatten sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt: Ein Mädchen, das aus Marokko stammte, sowie ihre Tante und ihr Onkel. Alle drei Beschwerdeführer lebten in Belgien.   Die Eltern des Mädchens hatten es durch eine sogenannte Kafala in die Obhut seiner Tante und seines Onkels entlassen.  Eine Kafala ist eine im traditionellen islamischen Recht vorgesehen Möglichkeit, die Fürsorge für ein Kind anderen Personen als den leiblichen Eltern zu übertragen. Sie wird beispielsweise angewandt, wenn die biologischen Eltern sich aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen nicht ausreichend um ihr Kind kümmern können.

Das Mädchen reiste nach Belgien ein; der Onkel und die Tante nahmen es in ihren Haushalt auf und beantragten eine Adoption. Diese wurde abgelehnt, weil die Voraussetzungen für eine Adoption nach belgischem Recht nicht erfüllt waren. Die Entscheidung wurden von belgischen Gerichten bestätigt.

Der Onkel und die Tante versuchten, bestimmte formale Voraussetzungen zu schaffen, die nach belgischen Recht erforderlich waren und beantragten erneut eine Adoption. Diese wurde wiederum abgelehnt und die negative Entscheidung durch alle Instanzen gerichtlich bestätigt.

Während der gesamten Zeit hatte das Mädchen –  die dritte Beschwerdeführerin – befristete Aufenthaltserlaubnisse. Diese mussten regelmässig verlängert werden. Zweimal konnte  die dritte Beschwerdeführerin nicht an Klassenfahrten teilnehmen, weil sich fürchtete, nicht erneut nach Belgien einreisen zu können.

Rechtslage:

Die Beschwerdeführer stützten ihre Beschwerde auf Artikel 8 EMRK. Nach ihrer Auffassung hatte Belgien gegen das Recht auf Respekt vor dem Familienleben verstossen, indem es die Adoption verweigerte. Ausserdem machte die dritte Beschwerdeführerin geltend, sie sei in ihrem Recht auf Privatleben verletzt, weil sie keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis habe und deshalb in ihrem Recht auf Privatleben verletzt sei.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte klar, dass der Fall in den Anwendungsbereich des Rechts auf Familienleben falle. Zwischen den drei Beschwerdeführern habe ein Familienleben bestanden. Der Gerichtshof unterstrich seine ständige Rechtsprechung, nach für das Bestehen von Familienleben keine biologische Eltern-Kind-Beziehung oder auch nur Blutsverwandtschaft geben müsse. Entscheidend seien die tatsächlichen emotionalen und sozialen Bindungen. Der belgische Staat hatte dies zwar eingeräumt, aber geltend gemacht, hier liege die Lage anders. Das Mädchen hätten nämlich weiterhin enge Bindungen zu ihren leiblichen Eltern aufrecht erhalten. Aus Sicht des EGMR machte dies keinen wesentlichen Unterschied.

Der Gerichtshof prüfte, ob der belgische Staat gegen Pflichten nach Artikel 8 EMRK verstossen habe, indem er die Adoption verweigerte.  Der Gerichtshof führte aus, dass die Kafala nach marrokanischem Recht keine Wirkung gehabt habe. Daher könne Belgien nicht ohne weiteres verpflichtet sein, sie in eine Adoption umzusetzen. Die Verweigerung der Adoption habe das Familienleben der Beschwerdeführer nicht beeinträchtigt. Sie hätten auch ohne die rechtliche Anerkennung als Familie zusammengelebt und die in einer Familie bestehenden emotionalen Bindungen aufrecht erhalten können. Daher sei das Recht auf Familienleben auch nicht verletzt worden.

Im Hinblick auf die Beschwerde, die Verletzung der dauerhaften Aufenthaltserlaubnis verletze die dritte Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Privatleben erkannte der EGMR an, dass Artikel 8 anwendbar sei. Er führte aber aus, dass diese Vorschrift weder das Recht auf eine Aufenthaltserlaubnis gebe noch darauf, in einem bestimmten Land zu leben. Daher erklärte der Gerichtshof die Beschwerde auch in dieser Hinsicht für unbegründet.

 

Chbihi Loudoudi gegen Belgien, Urteil vom 16.12.2014, Beschwerde Nr. 52265/10

 

Rechtsanwalt Holger Hembach