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Rechtsanwalt Holger Hembach

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Julian Assange

Working Group on Arbitrary Detention hält Julian Assange für willkürlich inhaftiert

Holger Hembach · 11. Februar 2016 ·

Wie mehrere Medien (beispielsweis Spiegel Online) berichtet haben, hat die „Working Group on Arbitrary Detention“ (Arbeitsgruppe zu willkürlichen Inhaftierungen) eine Stellungnahme oder Meinung ("opinion") zum Fall Julian Assange veröffentlicht. Sie vertritt die Auffassung, Assanges Aufenthalt in der ecuadorianischen Botschaft in London sei eine willkürliche Inhaftierung.

Sowohl die Regierung Schwedens als auch die britische Regierung haben die Auffassung der Arbeitsgruppe zurückgewiesen. Der britische Aussenminister Hammon hat die Stellungnahme als „lächerlich“ bezeichnet und darauf hingewiesen, die Mitglieder der Arbeitsgruppe seien juristische Laien.

 

Was ist die „Working Group on Arbitrary Detention”

Die “Working Group on Arbitrary Detention” wurde 1991 durch die UN Kommission für Menschenrechte eingerichtet. Diese Kommission hatte die Aufgabe, den internationalen Schutz der Menschenrechte zu verbessern. Zu diesem Zweck setzte sie seit 1975 verschiedene Arbeitsgruppen ein, die sich mit immer wiederkehrenden Themen und Fragen befassten, die für die Menschenrechte besonders wichtig sind. Eine dieser Arbeitsgruppen ist die Arbeitsgruppe über willkürliche Inhaftierungen.

2006 wurde die UN Menschenrechtskommission durch den UN Menschenrechtsrat ersetzt. Dieser beschloss, dass die Arbeitsgruppe weiterarbeiten sollte und verlängerte ihr Mandat. Das Mandat der Arbeitsgruppe wird jeweils um drei Jahre verlängert, zuletzt am 26.09.2013.

 

Wie arbeitet die „Working Group on Arbitrary Detention“

Die Gruppe hat die Aufgabe, in Fällen von mutmasslich willkürlicher Inhaftierung oder nicht im Einklang mit internationalem Recht stehender Inhaftierung zu ermitteln. Dabei kann sie Informationen von Regierungssstellen und Nichtergierungsorganisationen sowie von Betroffenen und deren Familien erbitten und erhalten. Sie ist eine der wenigen Arbeitsgruppen, die sich nicht nur mit der allgemeinen Situation in einem bestimmten Land befassen dürfen, sondern auch mit Beschwerden von Einzelpersonen.

Erhält die Arbeitsgruppe eine Beschwerde von einer Einzelperson, erbittet sie zunächst eine Stellungnahme von den Regierungen der Länder, die für die angeblich mutmassliche Beschwerde verantwortlich sind. Sodann hat die Person, die die Beschwerde eingelegt hat – die „Quelle“ – die Möglichkeit, auf diese Stellungnahme zu antworten. Die Arbeitsgruppe berät dann und veröffentlicht eine „Meinung“ (opinion), ob die Inhaftierung willkürlich ist.

Neben der Arbeit an individuellen Fällen veröffentlicht die Arbeitsgruppe auch Berichte über willkürliche Inhaftierungen in bestimmten Ländern oder veröffentlicht Meinungen zu Rechtsfragen im Zusammenhang mit willkürlicher Inhaftierung.

 

Wer gehört der Arbeitsgruppe an?

Die Arbeitsgruppe hat fünf Mitglieder. Sie wird administrativ unterstützt vom Sekretariat des Menschenrechtsrates. Auch wenn die Mitglieder nicht als Richter, Rechtsanwälte oder Staatsanwälte arbeiten, haben sie alle umfangreiche Erfahrung im juristischen Bereich. Beispielsweise unterrichtet der Vorsitzende Seong-Phil Hong Recht an der Yonsei Universität in Korea. Die Bezeichnung als „juristische Laien“ tut ihnen damit unrecht.

 

Worum geht es in der Meinung der Arbeitsgruppe

Am 02.12.2019 erliess eine schwedische Staatsanwältin einen Europäischen Haftbefehl gegen Julian Assange wegen des Verdachts verschiedener Sexualdelikte, die er angeblich im August 2010 in Stockholm begangen haben soll. Assange wurde am 07.12.2010 in London verhaftet und verbrachte zunächst zehn Tage im Gefängnis. Er setzte sich juristisch gegen die Auslieferung zur Wehr und verbrachte während des laufenden Verfahrens 550 Tage in Hausarrest. Der britische Supreme Court wies sein letztes Rechtsmittel in einem Urteil zurück, das am 30.05.2012 erging.

Assange ging in die Botschaft Ecuadors in London und beantragte Asyl. Dieses wurde ihm am 16.08.2012 gewährt. Seit dieser Zeit Assange in der Botschaft. Die britischen Behörden bewachen die Botschaft rund um die Uhr und haben angekündigt, ihn zu verhaften sollte er die Botschaft verlassen.

Assange beschwerte sich bei der Arbeitsgruppe, weil sein Aufenthalt in der Botschaft eine willkürliche Inhaftierung sei. Darüber hinaus seien auch sein Gefängnisaufenthalt und der Hausarrest willkürliche Inhaftierungen.

In ihrer Stellungnahme gab die Arbeitsgruppe ihm Recht. Sie führte aus, sowohl sein Gefängnisaufenthalt als auch die Zeit unter Hausarrest als auch die Zeit in der ecuadorianischen Botschaft seien Freiheitsentzug. Während dieser drei Phasen sei ihm kein faires Verfahren gewährleistet worden. Daher seien Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische  Rechte und 9 und 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Recht auf rechtliches Gehör). Der Aufenthalt Assanges in der Botschaft sei eine Verlängerung der Freiheitsentziehung im Gefängnis und unter Hausarrest.

Die Inhaftierung sei willkürlich. Eine Inhaftierung könne auch dann willkürlich sein, wenn sie im Einklang mit dem Recht des Staates stehe, der für sie verantwortlich sei. Willkür bedeute einen Mangel an Vorhersehbarkeit, das Fehlen eines ordnungsgemässen Verfahrens; der Begriff beziehe sich auch auf fehlende Verhältnismässigkeit oder Notwendigkeit einer Massnahme.

Die Arbeitsgruppe verwies dabei vor allem darauf, dass Assange in Schweden noch nicht einmal angeklagt worden ist. Alle bisherigen Massnahmen dienen lediglich eine Anhörung in einem vorläufigen Ermittlungsverfahren zu ermöglichen, das in Schweden vor Anklageerhebung durchgeführt wird. Im Hinblick darauf sei die Haftdauer  unverhältnismässig. Darüber hinaus seien Assange nicht im erforderlichen Masse Zugang zu seinen Anwälten, medizinischer Versorgung und Familienangehörigen gewährt worden.

Die Arbeitsgruppe hob dabei auch hervor, dass Assange mehrfach betont hatte, er sei bereit, sich von schwedischen Staatsanwälten in der Botschaft befragen zu lassen. Zwar sei die schwedische Justiz frei, zu entscheiden, in welcher Form sie die Ermittlungen durchführe. Im Hinblick darauf, dass die Situation für Assange mit erheblichen Eingriffen in seine Grundrechte verbunden sei und darauf, dass die Ermittlungen nach fünf Jahren immer noch nicht abgeschlossen seien, hätte der Standpunkt Assanges stärker berücksichtigt werden müssen. Ihm sei de facto die Möglichkeit verweigert worden, eine Stellungnahme abzugeben; er habe keinen Zugang zu entlastendem Material gehabt, um sich verteidigen zu können. Auch dies trage dazu bei, seine Inhaftierung als willkürlich zu qualifizieren.

Kritik

Die Beschwerde, die Julian Assange be der Working Group on Arbitrary Detention eingelegt hat, wirft zahlreiche interessante Rechtsfragen auf. Leider beantwortet die Arbeitsgruppe kaum eine davon befriedigend. Das fängt schon bei der Frage an, ob überhaupt eine Inhaftierung vorliegt. Die britische Regierung hat in ihrer Stellungnahme gegenüber der Arbeitsgruppe die Auffassung vertreten, Assange sei in der ecuadorianischen Botschaft nicht inhaftiert. Es stehe ihm ja frei, sie jederzeit zu verlassen. Ein Mitglied der Arbeitsgruppe, das eine abweichende Meinung abgegeben hat (also eine andere Auffassung vertritt als die Mehrheit der Arbeitsgruppe), hat sich dieser Argumentation angeschlossen. Assange sei nicht inhaftiert, sondern auf der Flucht vor der Justiz. Wenn man aber flüchte, sei es nun einmal so, dass  man sich nicht mehr überall frei bewegen könne. Die Mehrheit der Arbeitsgruppe bleibt leider eine Begründung schuldig, warum Assange nach ihrer Ansicht in Haft ist.  

Assange argumentierte unter anderem, es liege deshalb eine willkürliche Inhaftierung vor, weil er daran gehindert werde, sein Recht auf Asyl vollständig oder effektiv in Anspruch zu nehmen. Das führt zu der Frage, ob Grossbritannien und Schweden verpflichtet waren, sein Asyl in Ecuador anzuerkennne. Die beiden Regierungen bestritten das. Es gebe kein Recht auf „diplomatisches Asyl“. Assange sei Asyl auf Grundlage einer regionalen lateinamerikanischen Konvention gewährt worden. Diese sei aber eben regional begrenzt und für Schweden und Grossbritannien nicht bindend. Assange konterte, er habe den Status eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Diese Fragen werden in der Stellungnahme der Arbeitsgruppe weder wirklich diskutiert noch entschieden.

Auch die Frage nach einer möglichen Auslieferung in die USA wird in der Stellungnahme der Arbeitsgruppe allenfalls gestreift.

Sicherlich greift die Stellungnahme viele Punkte auf, die an dem Fall diskussionswürdig sind – beispielsweise Assanges Möglichkeiten, sich zu verteidigen oder die Auswirkungen der Weigerung, ihn in Grossbritannien zu befragen. Sorgfältig erörtert werden diese Fragen aber nicht.

Man mag geteilter Meinung zu dem Ergebnis sein, zu dem die Arbeitsgruppe gelangt ist. Mit der Begründung hat sie sich aus meiner Sicht keinen Gefallen getan.

Rechtsanwalt Holger Hembach