Sachverhalt:
Der Fall findet seinen Ursprung in einer Beschwerde der Amerikaner Frau Vera Demjanjuk und ihrem Sohn John Demjanjuk (im Folgenden V.D und J.D.) gegen die Bundesrepublik Deutschland. Das Münchener Landgericht II hatte entschieden, die notwendigen Auslagen des verstorbenen angeklagten John Demjanjuk (Ehemann und Vater der Beschwerdeführer) nicht zu erstatten. Die Beschwerdeführer sahen in dieser Entscheidung einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 II EMRK. Das Berufungsgericht verwarf die Beschwerde gegen die Entscheidung aufgrund fehlender Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer. Darin sahen die Beschwerdeführer wiederrum einen Verstoß gegen ihr Recht auf Zugang zu einem Gericht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK.
Am 12 Mai 2011 wurde John Demjanjuk vom Münchener Landgericht II, nach 91 Prozesstagen wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen verurteilt. Demjanjuk hatte in seiner Position als Wachmann im polnischen Konzentrationslager Sobibor, zwischen dem 27. März und dem September 1943, systematisch bei den Morden an Juden geholfen. Das Urteil wurde jedoch nicht rechtskräftig, da sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung Revision einlegten. John Demjanjuk verstarb am 17. März 2012.
Am 5. April 2012 entschied das Landgericht das Verfahren einzustellen und die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht zu erstatten. Das Gericht berief sich in dieser Entscheidung auf §§206a Abs. 1 und 467 Abs. 2 Nr.2 der deutschen Strafprozessordnung. §206a Abs. 1 erlaubt es dem Gericht, ein Verfahren einzustellen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht. Der Tod eines Angeschuldigten, stellt offensichtlich ein solches Verfahrenshindernis dar. Nach §467 Abs. 2 Nr.2 kann ein Gericht, wenn ein Angeschuldigter wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht, davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen. Dieses Ermessen darf von dem Gericht jedoch nur ausgeübt werden, wenn ein auf die bisherige Beweisaufnahme der ausgesetzten Hauptverhandlung gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei einer neuen Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden. (BGH 3 StE 7/94 – 1 (2) (StB 1/99)) Es muss also klar sein, dass ohne das Verfahrenshindernis (vorliegend nun mal der Tod des Angeklagten) der angeklagte John Demjanjuk verurteilt worden wäre.
Der Anwalt des Verstorbenen, legte Revision gegen das Urteil des Landgerichts ein. Unter anderem mit der Begründung, dass eine Nichterstattung der Kosten des Angeklagten gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK verstoße. In der Entscheidung, die Kosten nicht zu erstatten könnte ein Schuldspruch liegen. Das vorherige Urteil des Landgerichts (s.o.) sei nie rechtskräftig geworden, da Staatsanwaltschaft und Verteidigung dagegen in Revision gingen. Dies führt dazu, dass der Angeklagte bis zu seinem Tod nicht endgültig verurteilt und damit für schuldig befunden wurde. Nach Art. 6 Abs. 2 EMRK gilt ein Angeklagter solange als unschuldig bis seine Schuld gesetzlich bewiesen ist.
Am 17. April 2012 stellten die Beschwerdeführer dem Anwalt des Verstorbenen Vollmachten aus.
Anfang Oktober 2012 verwarf das Münchener Berufungsgericht die Berufung als unzulässig aufgrund von fehlender Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer V.D. und J.D. Die Beschwerdebefugnis könne nur der Angeklagte innehaben. Außerdem hielt das Berufungsgericht die Berufung für unbegründet, da die Entscheidung des Münchener Landgerichts, die notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten nicht zu erstatten, nicht notwendigerweise einen Schuldspruch enthalte.
Am 18 Dezember 2014 nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.
Rechtliche Beurteilung:
Der EGMR prüfte den Fall im Hinblick auf eine Verletzung des in Art. 6 I genannten Rechts auf Zugang zu einem und auf eine Verletzung der in Art. 6 Abs. 2 genannten Unschuldsvermutung.
Der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK soll darin gelegen haben, die Berufung der Beschwerdeführer nicht zuzulassen. Der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK darin, dass den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht erstattet wurden, obwohl dies von Art. 6 II EMRK verlangt werde.
Der EGMR räumte ein, dass die Entscheidung des Gerichts die Berufung aufgrund fehlender Beschwerdebefugnis nicht zuzulassen, abstrakt betrachtet, Art. 6 Abs. 1 EMRK widersprechen könnte. Allerdings müsse betont werden, dass die Berufung außerdem vom Berufungsgericht als unbegründet beurteilt wurde und somit der Fall von dem Gericht in seiner Gesamtheit betrachtet worden ist. Dies führt dazu, dass die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf Zugang zu einem Gericht Art. 6 I EMRK verletzt wurden.
Eine Verletzung der Unschuldsvermutung dem. Art. 6 Abs. 2 EMRK lehnte der EGMR ebenfalls ab. Im Kontext des vorliegenden Falles muss ganz klar zwischen einem dringendem Tatverdacht und einen Schuldspruch unterschieden werden. Während ein Schuldspruch die Unschuldsvermutung verletzen würde, tut ein Tatverdacht dies jedoch nicht. Die Entscheidung des Landgerichts beruhte lediglich auf einem Tatverdacht gegen den Angeklagten nicht auf einem Schuldspruch.
Weder das Recht auf gerichtliches Gehör, noch die Unschuldsvermutung sind somit in irgendeiner Weise verletzt worden.