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Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Befangenheit

Faires Verfahren und Besorgnis der Befangenheit – Urteil des EGMR im Fall Mitrov gegen Mazedonien

Holger Hembach · 9. Juni 2016 ·

Das Recht auf ein faires Verfahren garantiert unter anderem, dass der Prozess vor einem unabhängigen und unparteilichen Gericht stattfindet.  Im Fall Mitrov gegen Mazedonien hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht mit der Befangenheit von Richtern auseinandergesetzt.

 

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war im Jahre 2006 mit seinem Auto in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen. Bei diesem Unfall starb ein 18-jähriges Mädchen. Die Mutter des Opfers war Richterin beim Gericht in Strumica (im Süden Mazedoniens in der Nähe der Bulgarischen Grenze). Bevor sie Richterin geworden war, war sie fünf Jahre lang die juristische Mitarbeitern eines Richters am Gericht in Strumica gewesen.  Dieser Richter stand nun der Abteilung für Strafsachen des Gerichts vor, der sieben Richter angehörten.

Der Beschwerdeführer wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Die Richter, die über den Fall entscheiden sollten, gehörten der Abteilung für Strafsachen an – ebenso, wie die Mutter des Opfers. Der Anwalt des Beschwerdeführers schrieb an den Präsidenten des Gerichts. Er bat ihn, die Richter, die der Abteilung für Strafsache angehörten, vom Verfahren gegen ihn auszuschließen und das Verfahren an ein anderes Gericht zu verweisen. Die Richter könnten nicht unparteiisch sein, weil das Opfer die Tochter ihrer Kollegin sei. Der Anwalt bat den Gerichtspräsidenten, das Verfahren an ein anderes Gericht zu verweisen.

Der Gerichtspräsident holte Stellungnahmen von den Richtern ein, die an dem Prozess teilnehmen sollten. Diese versicherten schriftlich, es werde ihr Urteil nicht beeinflussen, dass das Opfer die Tochter einer Kollegin sei. Daraufhin lehnte der Präsident den Antrag ab, die Richter vom Verfahren auszuschließen und den Fall an ein anderes Gericht zu verweisen.

Die Richter führten das Verfahren durch; den Vorsitz führte der Richter, dessen Mitarbeiterin die Mutter des Opfers gewesen war. Die Mutter des Opfers trat als Nebenklägerin auf. Der Beschwerdeführer wurde zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und sechs Monaten verurteilt.  Der Mutter wurde Schadensersatz zugesprochen.

 

Rechtliche Bewertung:

Der Beschwerdeführer stützte seine Beschwerde beim EGMR auf die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 EMRK. Er machte geltend, die Richter seien befangen gewesen.

Der Gerichtshof verwies auf seine langjährige Rechtsprechung, dass Unparteilichkeit eine objektive und eine subjektive Seite hat. Die subjektive Seite bedeute, dass der Richter frei von Vorurteilen oder Voreingenommenheit sei. Die subjektive Unparteilichkeit eines Richters werde vermutet, solange es keinen Beweis für das Gegenteil gebe.

In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle prüfe der Gerichtshof die objektive Seite, wobei die beiden Bereiche nicht immer scharf zu trennen seien. Bei dem objektiven Test gehe es darum, ob es, abgesehen von dem Verhalten des Richters. Tatsachen gebe, seine Unparteilichkeit in Zweifel ziehen könnten. Dabei gehe es zumeist um hierarchische Beziehungen zwischen dem Richter und anderen Personen oder andere Bindungen zwischen dem Richter und anderen Verfahrensbeteiligten.

Der Gerichtshof war der Auffassung, dass das Verhalten der Richter im Verfahren keinen Anlass gegeben habe, an ihrer Unparteilichkeit zu zweifeln. Die subjektive Seite der Unparteilichkeit stehe daher nicht zur Debatte. Der Gerichtshof konzentrierte sich daher auf die Frage, ob es Beziehungen zwischen den Richtern und anderen Verfahrensbeteiligen gegeben habe, die Zweifel an deren Unparteilichkeit begründen könnten. Er verwies darauf, dass der strafrechtlichen Abteilung des Gerichts lediglich vier Richter angehörten. Insofern könnten persönliche Beziehungen zwischen den Richtern nicht ausgeschlossen werden.

Die Mutter des Opfers sei vier Jahre lang die juristische Mitarbeitern des Vorsitzenden Richters im Verfahren gewesen. Auch wenn nicht ersichtlich sei, dass ihre Beziehung über eine rein professionelle Zusammenarbeit hinausgegangen sei, sei dies doch geeignet, Bedenken hinsichtlich der Unparteilichkeit zu wecken. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass es um eine Familientragödie gegangen sei und dass es wegen des geltend gemachten Schadensersatzanspruches ein finanzielles Interesse der Nebenklägerin am Ausgang des Verfahrens gegeben habe.

Der Gerichtshof schloss daraus, dass es objektiv gerechtfertigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts gegeben habe. Er stellte eine Verletzung von Artikel 6 EMRK fest.

 

Mitrov gegen Mazedonien (Beschwerde Nr. 45959/09), Urteil vom 02.06.2006

Rechtsanwalt Holger Hembach