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The Business of Human Rights

Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Artikel 5 EMRK

Recht auf Prüfung der Haft innerhalb kurzer Frist nach Art. 5 EMRK – Patalakh gegen Deutschland

Holger Hembach · 11. Mai 2018 ·

Untersuchungshaft ist Freiheitsberaubung an einem Unschuldigen, hat ein bekannter Jurist einmal gesagt. Diese Freiheitsberaubung kann gerechtfertigt sein, beispielsweise um zu gewährleisten, dass der Angeklagte auch tatsächlich zur Hauptverhandlung erscheint. Es muss aber verfahrensrechtliche Garantien geben, damit die Untersuchungshaft auf das Maß begrenzt wird, das unbedingt erforderlich ist.  Solche Verfahrensgarantien erhält auch die Europäische Menschenrechtskonvention. Eine davon ist das Recht auf eine  Überprüfung der Haft durch ein Gericht innerhalb kurzer Frist, das in Art. 5 Abs. 4 EMRK verankert ist. Der EGMR hat im Fall Patalakh gegen Deutschland einen Verstoß gegen dieses Recht festgestellt. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte sich mehrere Monate Zeit gelassen, über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden.

Der Beschwerdeführer war russischer Staatsbürger. Gegen ihn wurde im Oktober 2013 wegen des Verdachts verschiedener Wirtschaftsstraftaten Haftbefehl erlassen. Am gleich Tag wurde er verhaftet. Das Gericht ordnete die Untersuchungshaft an. Es ging von Fluchtgefahr aus. Die Frau des Beschwerdeführers, die mitangeklagt war, sei ebenfalls russische Staatsbürgerin und habe kaum Bindungen zu Deutschland, so dass die Möglichkeit bestehe, dass die beiden das Bundesgebiet verlassen könnten. Darüber hinaus bestehe Verdunkelungsgefahr.

Im September 2014 erhob die Staatsanwaltschaft Frankfurt Anklage gegen ihn und im Juli 2016 verurteilt ihn das Landgericht Darmstadt zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und sechs Monaten. Das Urteil des Landgerichts war zur Zeit des Urteils dem EGMR noch nicht rechtskräftig.

Der Beschwerdeführer hatte frühzeitig begonnen, Rechtsmittel gegen seine Untersuchungshaft einzulegen. Im Juli 2014 fand eine Haftprüfung durch das Oberlandesgericht statt. Das Gericht ordnete die Fortdauer der Haft an und entschied, dass ihm die Akte im Oktober zur erneuten Prüfung wieder vorgelegt werden sollte. Für die Zwischenzeit übertrug es die Zuständigkeit für weitere Entscheidungen die Haft betreffend auf das Landgericht.

Der Beschwerdeführer erhob Gegenvorstellung und eine Gehörsrüge.

Der Beschwerdeführer legte auch Verfassungsbeschwerde gegen seine Untersuchungshaft ein. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde ohne Begründung nicht zur Entscheidung an.

Der Beschwerdeführer legte erneut Rechtsmittel gegen die Untersuchungshaft ein.  Im Dezember 2014 entschied das Landgericht, das Rechtsmittel sei prozessual überholt, weil im Oktober eine regelmäßige Haftprüfung durch das Oberlandesgericht anstehe und daher die Zuständigkeit auf das Oberlandesgericht übergegangen sei.

Im Oktober beantragte die Staatsanwaltschaft die Verlängerung der Untersuchungshaft. Der Beschwerdeführer beantragte im November die Aufhebung des Haftbefehls. Er beantragte auch, dass das Oberlandesgericht zunächst über die Gegenvorstellung und seine Gehörsrüge entscheiden möge, die er nach der Entscheidung im Juli eingelegt hatte.

Das Gericht wies die Haftbeschwerde zurück und lehnte die Gehörsrüge ab.

Der Beschwerdeführer beantragte die Mitteilung der Namen der zuständigen Richter am Oberlandesgericht. Als ihm die Namen mitgeteilt wurden, lehnte er zwei der drei Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er machte u.a. geltend, sie hätten rund zweieinhalb Monate gebraucht, um über seine Haftbeschwerde und seine Gehörsrüge zu entscheiden. Dies komme einer willkürlichen Sachbehandlung gleich. Am 30.Dezember wies das Oberlandesgericht die Befangenheitsanträge ab.

Im März 2015 sandte der Verteidiger des Beschwerdeführers zwei Umfangreiche Stellungnahmen an das Oberlandesgericht, die er in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Darmstadt abgegeben hatte. Er beantragte, dass das Gericht diese berücksichtige möge, wenn es über die Fortdauer der Haft entscheide. Er beantragte auch, dass das OLG Frankfurt zügig entscheiden möge.

Rund einen Monat später legte der Beschwerdeführer erneut Verfassungsbeschwerde ein, weil das OLG Frankfurt immer noch keine Entscheidung über die Untersuchungshaft getroffen hatte.  Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde, gewohnt souverän, nicht zur Entscheidung an.

Ungefähr drei Wochen später wurde dem Verteidiger des Beschwerdeführers eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt über die Untersuchungshaft zugestellt. Es hatte diese wenige Tage getroffen bevor der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte.

Das OLG Frankfurt ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Es setzt sich in der Entscheidung nicht mit der Dauer des Verfahrens über die Prüfung der Fortdauer der Haft.

Der Beschwerdeführer legte eine Beschwerde beim EGMR ein. Der EGMR prüfte, ob das Recht des Beschwerdeführers auf eine Prüfung der Haft in angemessener Frist verletzt war. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass er nach Art. 5 Abs. 4 EMRK ein Recht darauf habe, dass die Notwendigkeit der Untersuchungshaft regelmäßig geprüft werde. Nach deutschem Recht sei eine solche Prüfung alle drei Monate vorgesehen, wenn die Dauer der Untersuchungshaft einmal sechs Monat überschritten habe.

Der Gerichtshof führte aus, dass der Begriff der Überprüfung innerhalb kurzer Frist nicht durch eine bestimmte Zeitspanne definiert sei. Ob die Überprüfung der Haft noch innerhalb kurzer Frist erfolge, müsse anhand aller Umstände des Einzelfalles bestimmt werden. Es sei jedoch besondere Eile geboten, wenn eine Hauptverhandlung bevorstehe, denn es solle gewährleistet werden, dass dem Betroffenen die Unschuldsvermutung zugute komme.

Bei der Prüfung könne auf zwei verschiedene Zeiträume abgestellt werden: Auf die Zeitintervalle zwischen den Entscheidungen des Oberlandesgerichts oder auf die Zeit, die von der Anhängigkeit der Sache beim OLG bis zur Entscheidung vergehe. Was den zweiten Gesichtspunkt angehe, sei dauere der relevante Zeitraum vom 24.Oktober bis zur. Zustellung der Entscheidung am 15.Mail. Es habe damit sechseinhalb Monate gedauert. Dies sei prima facie nicht mit den relativ strengen Anforderungen vereinbar, die der Gerichtshof im Bereich der Prüfung von Untersuchungshaft aufgestellt habe.

Unter diesen Umständen obliege es dem Staat, die Verzögerung zu erklären und außergewöhnliche Umstände vorzutragen, die die Zeitspanne rechtfertigten.

Der Gerichtshof erkannte an, dass die Verzögerung von Oktober bis Januar durch zwei Befangenheitsanträge verursacht worden seien, die in verfahrensmäßig richtiger Weise nach Anhörung aller Beteiligten hätten bearbeitet werden müssen. Dies habe zu einer gerechtfertigten Verzögerung geführt.

Was den Zeitraum von Januar bis Mai betreffe, habe die letzte Entscheidung im Januar bereits mehr als sechs Monate zurückgelegen und der Beginn der regelmäßigen Haftprüfung rund drei Monate. Unter diesen Umständen hätte das Verfahren besonders schnell vorangetrieben werden müssen.

Der Gerichtshof habe in seiner Rechtfertigung recht strenge Anforderungen an die Prüfung der Haft  innerhalb kurzer Frist aufgestellt. Im Hinblick auf diese strengen Kriterien könne auch die Komplexität des Falles die Dauer des Verfahrens nicht rechtfertigen.

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 5 EMRK fest.

EGMR: Internierung tunesischer Flüchtlinge auf Lampedusa verstieß gegen EMRK

Holger Hembach · 29. Dezember 2016 ·

Im Fall Khlaifia und andere gegen Italien hat sich die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit der Frage befasst, ob die Internierung tunesischer Flüchtlinge auf Lampedusa gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Der Gerichtshof stellte eine Verletzung des Rechts auf Freiheit fest, verneinte aber einen Verstoß gegen das Verbot von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung.

Sachverhalt:

Die Beschwerde war von drei Männern eingereicht worden. Sie hatten im September 2011 Tunesien mit einem Boot verlassen, das kurze Zeit später von der italienischen Küstenwache aufgehalten worden war. Die Küstenwache brachte sie auf die Insel Lampedusa. Dort wurden die Männer in ein bewachtes Aufnahmezentrum gebracht, das sie nicht verlassen konnten.

Nach zwei Tagen brach eine Revolte unter den Bewohnern des Aufnahmezentrums aus.  Es gelang den Beschwerdeführern, das Aufnahmezentrum zu verlassen und sie zogen mit einer Gruppe von Bewohnern durch die Straßen von Lampedusa. Dort nahm die Polizei sie in Gewahrsam. Sie wurden nach Palermo geflogen und auf zwei Schiffen untergebracht, die im Hafen von Palermo vor Anker lagen.

Die Männer blieben einige Tage auf den Booten. Dann wurden sie vom tunesischen Konsul empfangen und danach nach Tunesien ausgeflogen.

 

Rechtliche Würdigung

Der EGMR prüfte den Sachverhalt im Hinblick auf verschiedene Artikel der EMRK.

–          Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK)

Zunächst setzte er sich mit der Frage auseinander, ob das Recht auf Freiheit nach Artikel 5 EMRK verletzte worden war. Die italienische Regierung machte geltend, der Artikel sei nicht einschlägig. Den Beschwerdeführern sei nämlich ihre Freiheit nicht entzogen worden. Die Einrichtung zur Erstaufnahme auf Lampedusa sei kein Gefängnis und keine Einrichtung für freiheitsentziehende Maßnahmen. Der Zweck der Einrichtung sei es nicht, Flüchtlinge zu internieren, sondern sie zu versorgen und sicherzustellen, dass sie Zugang zu grundlegender Gesundheitsvorsorge und hygienischen Maßnahmen haben.

Die Schiffe, auf die die Beschwerdeführer später verlegt worden seien, sei als eine Art Außenstellen der Einrichtung zur Erstaufnahme anzusehen. Ihr Einsatz sei durch den Brand in der Einrichtung zur Erstaufnahme notwendig geworden. Es müsse berücksichtigt werden, welchem enormen Druck die Behörden in Anbetracht des Andrangs von Flüchtlingen ausgesetzt gewesen seien.  Der Aufenthalt der Beschwerdeführer sei daher weder Haft noch Freiheitsentzug, sondern lediglich ein „Festhalten“ zu Sicherheitszwecken.

Der Gerichtshof wies dieses Argument zurück. Er räumte ein, dass es schwierig sei, die Entziehung der Freiheit von der bloßen Beschränkung der Freiheit abzugrenzen. Der Unterschied sei nur graduell. Oftmals sei es lediglich eine Meinungsfrage, in welche Kategorie ein bestimmtes Verhalten falle. Dennoch obliege des dem Gerichtshof, hier eine Entscheidung zu treffen.  Die Bedingungen, unter denen sich die Beschwerdeführer im Aufnahmezentrum aufgehalten hätten, hätten denen geähnelt, die in einem Gefängnis herrschten. Die Beschwerdeführer hätten sich nur eingeschränkt bewegen können und hätten keinen Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen können. Dies gelte auch für ihren späteren Aufenthalt auf den Schiffen. Letzterer habe über zwölf Tage gedauert. Im Hinblick darauf gehe der Gerichtshof davon aus, dass eine Freiheitsentziehung vorgelegen habe, auf die Artikel 5 EMRK anwendbar sei

Der Gerichtshof führte aus, dass eine Freiheitsentziehung nach Artikel 5 EMRK nur in bestimmten Fällen zulässig sei. Diese Ausnahmefälle seien in Artikel 5 Abs. 1 geregelt. Diese Regelung sei abschließend; weitere Fälle, in denen eine Freiheitsentziehung zulässig sei, gebe es nicht. Als Ausnahme komme in diesem Fall lediglich Artikel 5 Abs. 1 f) EMRK in Betracht, der eine Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit einem Ausweisungs- und Auslieferungsverfahren zulasse.

Das setze aber voraus, dass es eine gesetzliche Grundlage für die Freiheitsentziehung gebe. Dabei sei es besonders wichtig, dass das nationale Recht klar zum Ausdruck bringe, unter welchen Voraussetzungen ein Freiheitsentzug erfolgen dürfe. Diese Voraussetzung war nach Auffassung des EGMR nicht erfüllt. Nach seiner Ansicht gab es im italienischen Recht keine hinreichend Grundlage für die Inhaftierung.

Der Gerichtshof stellte daher eine Verletzung des Rechts auf Freiheit nach Artikel 5 EMRK fest.

Der Gerichtshof stellte auch eine Verletzung von Artikel 5 Abs. 2 EMRK fest. Dieser gibt jedem, der seiner Freiheit beraubt worden ist, das Recht, über die Gründe für die Freiheitsentziehung informiert zu werden. Der Gerichtshof war der Meinung, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass die Beschwerdeführer gewusst hätten, dass sie illegal nach Italien eingereist waren. Dennoch stellte er fest, dass sie keine „offiziellen“ Informationen über die Gründe der Freiheitsberaubung erhalten hatten. Daher sah er Artikel 5 Abs. 2 als verletzt an.

Weiter war der Gerichtshof der Auffassung, dass auch Artikel 5 Abs. 4 verletzt sei. Dieser gibt jedem inhaftierten das Recht, eine gerichtliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung herbeizuführen. Die Beschwerdeführer hatten diese Möglichkeit nicht bekommen.

–          Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Artikel 3 EMRK)

Der Gerichtshof prüfte auch einen Verstoß gegen Artikel 3 EMRK. Er führte aus, dass genaue und neutrale Informationen über die Zustände in der Aufnahme und auf den Schiffen nicht erhältlich waren. Aus seiner Sicht war es jedoch unbestreitbar, dass sowohl das Auffanglager als auch die Schiffe stark überbelegt gewesen waren. Der Gerichtshof verwies auf seine Rechtsprechung, derzufolge schon Freiheitsentzug bei Überbelegung für sich genommen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen kann. Er wies aber auch auf die besonderen Umstände hin. Italien war innerhalb kurzer Zeit mit einem gewaltigen Ansturm an Flüchtlingen konfrontiert worden. Der Gerichtshof erkannte an, dass Italien sich bemüht habe, unter diesen schwierigen Umständen medizinische Versorgung und einen hygienischen Grundstandard zu sichern.

Er stellte daher keine Verletzung von Artikel 3 EMRK fest.

 

Khlaifia gegen Italien, Urteil der Großen Kammer vom 15.12.2016, Beschwerde Nr. 16483/12

Anforderungen an die Anordnung von Untersuchungshaft – Buzadji gegen Moldau

Holger Hembach · 2. Januar 2015 ·

Im Fall Buzadji. Moldau hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Rechtsprechung zur Anordnung von Untersuchungshaft unterstrichen. Dabei hat er erneut betont, dass zur Begründung einer solchen Anordnung formelhafte Formulierungen oder die blosse Wiedergabe des Wortlauts des Gesetzes nicht ausreichen.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war der ehemalige Direktor eines staatseigenen Betriebes in Moldau. In einem zivilrechtlichen Verfahren erkannte er im Namen dieses Betriebes eine hohe Forderung an. In der Folgezeit wurden  zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet wegen des Verdachts, gemeinsam mit seinen Söhnens Mittel des Unternehmens veruntreut zu haben. Auch gegen die Söhne des Beschwerdeführers wurden mehrere Verfahren eingeleitet. Im Laufe der Ermittlungsverfahren wurde der Beschwerdeführer mehrfach zu Vernehmungen vorgeladen. Er leistete allen Ladungen folge.

Alle Ermittlungsverfahren wurden miteinander verbunden und im Mai 2007 wurde der Beschwerdeführer wegen Betruges angeklagt. Am Tag der Anklageerhebung erliess das zuständige Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl und ordnete Untersuchunghaft für den Zeitraum von 15 Tagen an. Zur Begründung führte es aus, dass der Beschwerdeführer eines aussergewöhnlich schweren Verbrechens beschuldigt werde. Ausserdem verwies es auf die Komplexität des Falles und die Schwere der Tag. Es führte auch aus, dass es ernsthafte Gründe für die Annahme gebe, dass der Beschwerdeführer sich mit anderen Beschuldigten – insbesondere seinen Söhnen – absprechen werde, um eine gemeinsame Verteidigungslinie zu finden.

Der Beschwerdeführer legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel ein. Er führte aus, dass sich aus der Akte keine Hinweise darauf ergäben, dass Fluchtgefahr bestehe und verwies darauf, dass er eine Arbeitsstelle, einen festen Wohnsitz und familiäre Bindungen in Moldau habe. Er legte auch medizinische Atteste vor, aus denen sich ergab, dass er medizinische Hilfe benötigte, die er in Untersuchungshaft nicht bekommen konnte.

Das zuständige Gericht wies das Rechtsmittel zurück. In der Begründung wiederholte es im Wesentlichen die Gründe, die das erstinstanzliche Gericht angeführt hatte.

Als der Zeitraum, für den das Gericht ursprünglich Untersuchungshaft angeordnet hatte, verstrichen war, verlängerte das zuständige Gericht die Untersuchungshaft. Es führte aus, dass es wegen der „Schwere und Komplexität des Falles und der Notwendigkeit, die öffentliche Ordnung zu schützen verfrüht sei, die Untersuchungshaft durch ein anderes Mittel wie beispielsweise Hausarrest zu ersetzen.

Nachdem der Zeitraum, um den die Untersuchungshaft verlängert worden war, erneut verstrich, wurde die Haft wiederum verlängert. Das zuständige Gericht wiederholte im Wesentlichen die gleichen Gründe wie die vorhergehenden Entscheidungen. Die Entscheidung wurde im Rechtsmittelverfahren bestätigt.

 

Im Juni 2007 gab das zuständige Gericht einem Antrag des Beschwerdeführers statt und ordnete Hausarrest anstelle der Untersuchungshaft an. Die Staatsanwaltschaft legte Rechtsmittel ein und das nächsthöhere Gericht hob die Entscheidung auf und ordnete wieder Untersuchungshaft an.

Nach einer weiteren Verlängerung der Untersuchungshaft ordnete das Gericht schliesslich Hausarrest anstelle der Untersuchungshaft an. Insgesamt hatte der Beschwerdeführer zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft und acht Monate unter Hausarrest verbracht.

Rechtliche Beurteilung:

Der EGMR prüfte den Fall im Hinblick auf Artikel 5 Absatz 3 der EMRK, der lautet

 

1. Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden

(…)

(c) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;

3. Jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, muss unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigten Person vorgeführt werden; sie hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens. Die Entlassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden

 

Der Gerichtshof unterstrich, dass eine Person, der eine Straftat zur Last gelegt wird, grundsätzlich vor dem Verfahren auf freien Fuss gesetzt werden muss – es sei denn, der Staat kann auf hinreichende Gründe verweisen, die eine Untersuchungshaft rechtfertigen. Bei der Anordnung von Untersuchungshaft sei das Gericht zwar nicht verpflichtet, sich mit jedem einzelnen Argument auseinanderzusetzen, dass der Beschuldigte vortrage, um für seine Freilassung zu streiten. Es könne jedoch keine Tatsachen ausser acht lassen oder als irrelevant behandeln, die für die Frage der Untersuchungshaft von Bedeutung sein könnten. Das zuständige Gericht könne sich nicht auf die Angabe genereller und abstrakter Gründe zur Rechtfertigung der Untersuchungshaft beschränken.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte führte aus, dass die Gerichte in Moldau sich mit keinem der Argumente auseinandergesetzt hätten, die der Beschwerdefuehrer vorgetragen habe. Sie hätten den Wortlaut des Gesetzes wiederholt, ohne ihn auf die konkreten Umstände des Einzelfalles anzuwenden; die Entscheidungen seien nicht auf eine Analyse der konkreten Fakten in der Akte gestützt worden, sondern vielmehr auf allgemeine und stereotypische Überlegungen. Aus diesen Gründen entschied der Gerichtshof, dass Artikel 5 EMRK verletzt worden sei.

Buzadji gegen Republik Moldau, Urteil vom 16.12.2004, Beschwerde Nr. 23755/07

 

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