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The Business of Human Rights

Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Art. 6 EMRK

EGMR: Auferlegung der Verfahrenskosten verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung – Demjanjuk gegen Deutschland

Holger Hembach · 27. Februar 2019 ·

Sachverhalt:

Der Fall findet seinen Ursprung in einer Beschwerde der Amerikaner Frau Vera Demjanjuk und ihrem Sohn John Demjanjuk (im Folgenden V.D und J.D.) gegen die Bundesrepublik Deutschland. Das Münchener Landgericht II hatte entschieden, die notwendigen Auslagen des verstorbenen angeklagten John Demjanjuk (Ehemann und Vater der Beschwerdeführer) nicht zu erstatten. Die Beschwerdeführer sahen in dieser Entscheidung einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 II EMRK. Das Berufungsgericht verwarf die Beschwerde gegen die Entscheidung aufgrund fehlender Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer. Darin sahen die Beschwerdeführer wiederrum einen Verstoß gegen ihr Recht auf Zugang zu einem Gericht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK.

Am 12 Mai 2011 wurde John Demjanjuk vom Münchener Landgericht II, nach 91 Prozesstagen wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen verurteilt. Demjanjuk hatte in seiner Position als Wachmann im polnischen Konzentrationslager Sobibor, zwischen dem 27. März und dem September 1943, systematisch bei den Morden an Juden geholfen. Das Urteil wurde jedoch nicht rechtskräftig, da sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung Revision einlegten. John Demjanjuk verstarb am 17. März 2012.

Am 5. April 2012 entschied das Landgericht das Verfahren einzustellen und die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht zu erstatten. Das Gericht berief sich in dieser Entscheidung auf §§206a Abs. 1 und 467 Abs. 2 Nr.2 der deutschen Strafprozessordnung. §206a Abs. 1 erlaubt es dem Gericht, ein Verfahren einzustellen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht. Der Tod eines Angeschuldigten, stellt offensichtlich ein solches Verfahrenshindernis dar. Nach §467 Abs.  2 Nr.2 kann ein Gericht, wenn ein Angeschuldigter wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht, davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen. Dieses Ermessen darf von dem Gericht jedoch nur ausgeübt werden, wenn ein auf die bisherige Beweisaufnahme der ausgesetzten Hauptverhandlung gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei einer neuen Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden. (BGH 3 StE 7/94 – 1 (2) (StB 1/99)) Es muss also klar sein, dass ohne das Verfahrenshindernis (vorliegend nun mal der Tod des Angeklagten) der angeklagte John Demjanjuk verurteilt worden wäre.

Der Anwalt des Verstorbenen, legte Revision gegen das Urteil des Landgerichts ein. Unter anderem mit der Begründung, dass eine Nichterstattung der Kosten des Angeklagten gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK verstoße. In der Entscheidung, die Kosten nicht zu erstatten könnte ein Schuldspruch liegen. Das vorherige Urteil des Landgerichts (s.o.) sei nie rechtskräftig geworden, da Staatsanwaltschaft und Verteidigung dagegen in Revision gingen. Dies führt dazu, dass der Angeklagte bis zu seinem Tod nicht endgültig verurteilt und damit für schuldig befunden wurde. Nach Art. 6 Abs. 2 EMRK gilt ein Angeklagter solange als unschuldig bis seine Schuld gesetzlich bewiesen ist.

Am 17. April 2012 stellten die Beschwerdeführer dem Anwalt des Verstorbenen Vollmachten aus.

Anfang Oktober 2012 verwarf das Münchener Berufungsgericht die Berufung als unzulässig aufgrund von fehlender Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer V.D. und J.D. Die Beschwerdebefugnis könne nur der Angeklagte innehaben.  Außerdem hielt das Berufungsgericht die Berufung für unbegründet, da die Entscheidung des Münchener Landgerichts, die notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten nicht zu erstatten, nicht notwendigerweise einen Schuldspruch enthalte.

Am 18 Dezember 2014 nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.  

 

Rechtliche Beurteilung: 

Der EGMR prüfte den Fall im Hinblick auf eine Verletzung des in Art. 6 I genannten Rechts auf Zugang zu einem und auf eine Verletzung der in Art. 6 Abs. 2 genannten Unschuldsvermutung.

Der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK soll darin gelegen haben, die Berufung der Beschwerdeführer nicht zuzulassen. Der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK darin, dass den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht erstattet wurden, obwohl dies von Art. 6 II EMRK verlangt werde.

Der EGMR räumte ein, dass die Entscheidung des Gerichts die Berufung aufgrund fehlender Beschwerdebefugnis nicht zuzulassen,  abstrakt betrachtet, Art. 6 Abs. 1 EMRK widersprechen könnte. Allerdings müsse betont werden, dass die Berufung außerdem vom Berufungsgericht als unbegründet beurteilt wurde und somit der Fall von dem Gericht in seiner Gesamtheit betrachtet worden ist. Dies führt dazu, dass die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf Zugang zu einem Gericht Art. 6 I EMRK verletzt wurden.

Eine Verletzung der Unschuldsvermutung dem. Art. 6 Abs. 2 EMRK lehnte der EGMR ebenfalls ab. Im Kontext des vorliegenden Falles muss ganz klar zwischen einem dringendem Tatverdacht und einen Schuldspruch unterschieden werden. Während ein Schuldspruch die Unschuldsvermutung verletzen würde, tut ein Tatverdacht dies jedoch nicht. Die Entscheidung des Landgerichts beruhte lediglich auf einem Tatverdacht gegen den Angeklagten nicht auf einem Schuldspruch.

Weder das Recht auf gerichtliches Gehör, noch die Unschuldsvermutung sind somit in irgendeiner Weise verletzt worden.

 

 

Kein Verstoß gegen Art. 6 EMRK bei Verwertung frührerer Aussage der Ehefrau trotz Zeugnisverweigerung – N.K. gegen Deutschland

Holger Hembach · 8. Februar 2019 ·

Wer mit dem Beschuldigten in einem Strafverfahren verheiratet ist, hat ein Zeugnisverweigerungsrecht. Sagt der Ehepartner zunächst aus, entschließt sich aber später, das Zeugnisverweigerungsrecht auszuüben, können die früheren Aussagen im Verfahren nicht verwertet werden. Ein Ausnahme gilt dann, wenn ein Richter die Person, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt ist, vernommen hat. In diesem. Falle kann der Richter, der die Vernehmung durchgeführt hat, als Zeuge vernommen werden und aussagen, was der Ehepartner ihm gegenüber ausgesagt hat. Mit dieser Konstellation hat sich der EGMR im Fall N.K. gegen Deutschland beschäftigt. Er stellte keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren fest.

Sachverhalt

Im August 2009 wurde gegen den Beschwerdeführer (N.K.) ein vorläufiges Verfahren eingeleitet, aufgrund des Verdachtes der Gewaltanwendung des Beschwerdeführers gegenüber seiner Frau R.K.

Ende September 2009 wurde der Beschwerdeführer verhaftet und inhaftiert. Im Mai 2010 wurde das Hauptverfahren gegen ihn eröffnet.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde der Beschwerdeführer von der Anhörung seiner Frau im Zuge des Verfahrens ausgeschlossen, da die Sorge bestand R.K. werde unter Anwesenheit des Beschwerdeführers nicht wahrheitsgemäß aussagen. §168c III StPO ermöglicht einen solchen Ausschluss eines Beschuldigten von der Verhandlung, wenn dessen Anwesenheit den Untersuchungszweck gefährden würde. Dies gilt besonders, wenn der Verdacht besteht, ein Zeuge werde unter Anwesenheit des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens wurden auch zwei Polizeibeamte als Zeugen angehört.

Bei einer weiteren Anhörung im Juni 2010 teilte R.K. mit, dass sie sich nicht mit der Nutzung ihrer Aussage oder ihrer Untersuchungsergebnisse als Beweismittel einverstanden erkläre.

Die Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer fand vor dem Landgericht Anrnsberg statt. Im Verfahren wurde der Richter als Zeuge vernommen, der die Vernehmung der Frau des Beschwerdeführers durchgeführt hatte. Er gab wieder, was die Frau in ihrer richterlichen Vernehmung ausgesagt hatte. Der Beschwerdeführer widersprach der Verwertung der Aussage, weil die Frau des Beschwerdeführers sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte.

Der Beschwerdeführer berief sich auch auf Art. 6 III d) EMRK. Art. 6 EMRK behandelt das Recht auf ein faires Verfahren. Abs. 3 d) garantiert dem Angeklagten das Recht Fragen an Belastungszeugen zu stellen. Der Beschwerdeführer war der Meinung durch den Ausschluss in  seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt zu sein, weil durch die Vernehmung des Richters die Aussage seiner Frau in das Verfahren eingeführt wurde, ohne dass er die Möglichkeit hatte, sie zu befragen.

Das Landgericht vernahm auch weitere Zeugen, unter anderem die Polizisten, die nach dem Vorfall herbeigerufen worden waren.

Am 28.06.2010 verurteilte das Landgericht Arnsberg den Beschwerdeführer wegen viermaliger gefährlicher Körperverletzung (und dem Autofahren ohne Führerschein) zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft.

Am 29.06.2010 legte der Beschwerdeführer Revision beim BGH ein. Er behauptete, dass Beweise welche durch einen Bruch des Art. 6 III d) EMRK erlangt wurden im Verfahren nicht zulässig sein könnten. Im Dezember 2010 verwarf der BGH die Revision. Die Aussage der R.K. wurde nicht unfairer Weise zum Verfahren zugelassen, sondern von mehreren anderen bedeutenden Faktoren untermauert.

Am 11.01.2011 reichte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Im April 2012 beschloss das BVerfG ,die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung zu nehmen, ohne dies zu begründen.

 Rechtliche Beurteilung

Der EGMR prüfte den Fall im Hinblick auf eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK. Der Beschwerdeführer stütze seine Beschwerde auf Art. 6 III d) EMRK, wonach es ihm zusteht einen Belastungszeugen zu befragen. Dies wurde ihm vorliegend verwehrt, da R.K. sich nach der Anhörung vor dem Richter weigerte im weiteren Verfahren auszusagen. Durch den Ausschluss des Beschwerdeführers von der Anhörung der R.K. ist also in sein Recht auf ein faires Verfahren eingegriffen worden.

Der EGMR stellte fest, dass der Ausschluss des Beschwerdeführers von der Anhörung seiner Frau nicht unbegründet erfolgte und auch die Entscheidung des Gerichts ihre Aussage im Verfahren als zulässig zu erachten begründet war. Dem Beschwerdeführer wurde es außerdem im Verfahren ermöglicht, den als Zeuge fungierenden Richter zu befragen, was dieser nicht tat. Weiterhin hatte der Beschwerdeführer während des Verfahrens die Möglichkeit selbst auszusagen und seine eigene Version der Geschehnisse vorzutragen, worauf dieser ebenfalls verzichtete. Das Urteil des Landgerichts wurde zudem nicht nur auf die Aussage der R.K. gestützt, sondern vielmehr auf eine Vielzahl von Aussagen, die die Geschehnisse schilderten. Im Hinblick auf diese Umstände beurteilte der EGMR das Verfahren als gesamtes, als ein immer noch faires Verfahren.

Das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 III d) EMRK sei insofern nicht verletzt.

 

 

 

 

 

 

Berücksichtigung vorläufig eingestellter Tatvorwürfe bei der Strafzumessung – Verstoß gegen die Unschuldsvermutung? Bikas gegen Deutschland

Holger Hembach · 29. Januar 2018 ·

Die Strafprozessordnung ermöglicht es, Verfahren (vorläufig) einzustellen, wenn dem Beschuldigten wegen anderer Taten bereits eine erhebliche Strafe droht. Das kann im Ermittlungsverfahren geschehen, aber auch, wenn die Hauptverhandlung bereits begonnen hat. Dadurch sollen Verfahren beschleunigt und entschlackt werden. Nach deutscher Rechtsprechung dürfen Taten, die Gegenstand der eingestellten Verfahren waren, aber dennoch bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, wenn es wegen der anderen Tat zur Verurteilung komme.

Es wird also gegen einen Angeklagten wegen der Taten A, B und C verhandelt. Das Gericht stellt das Verfahren wegen des Tatvorwurfs C ein. Der Angeklagte wird wegen der Taten A und B verurteilt. Bei der Bemessung der Strafe wegen dieser Taten berücksichtigt das Gericht dann noch, dass der Angeklagte ja auch noch die Tat C begangen hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verstößt das nicht gegen die Unschuldsvermutung, sofern das Gericht die Taten im Einklang mit der Strafprozessordnung festgestellt hat und sie zur Überzeugung des Tatgerichts feststehen. Dagegen reicht es nicht aus, wenn das Gericht lediglich den Verdacht hat, dass der Angeklagte die weiteren Taten begangen hat.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich nun im Fall Bikas gegen Deutschland mit der Frage befasst, ob dies im Einklang mit der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK steht.

Das Landgericht München hatte ein Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen sexueller Nötigung in mindestens 300 Fällen geführt. Nach 17 Hauptverhandlungstagen mit Beweisaufnahme erließ das Landgericht einen Beschluss, mit dem es das Verfahren wegen eines Großteilts der Taten einstellte, weil der Angeklagte wegen der anderen Taten eine erhebliche Strafe zu erwarten habe. Es beschränkte das Verfahren auf vier Vorfälle.

Das Gericht wies den (damals) Angeklagten darauf hin, dass es auch die eingestellten Tatvorwürfe bei der Strafzumessung berücksichtigen werde.

Am gleich Tag verurteilt das Landgericht den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilte. In den Urteilsgründen führte es aus, es habe die Verfahren zwar wegen zahlreicher Vorwürfe eingestellt. Es sei aber überzeugt, dass der Angeklagte in mindestens fünfzig Fällen Taten begangen habe, die denen vergleichbar seien, deretwegen er nun verurteilt werde. Das Gericht wertete das im Urteil als strafschärfend.

Der Beschwerdeführer legte erfolglos Revision ein und erhob Verfassungsbeschwerde. Danach legte er eine Beschwerde beim EGMR ein. Er machte geltend, die Berücksichtigung von Taten zu seinen Lasten, deretwegen er nicht verurteilt worden sei, verstoße gegen die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK.

Der Gerichtshof prüfte zunächst, ob Art. 6 Abs. 2 auf den Fall noch anwendbar sei. Deutschland hatte dazu in seiner Stellungnahme zu der Beschwerde geltend gemacht, die Unschuldsvermutung gelte nicht mehr. Das Gericht habe sich zu der Zeit der Einstellung bereits die Überzeugung gebildet, dass der Beschwerdeführer die fünfzig weiteren Taten, die es bei der Strafzumessung berücksichtigt habe, begangen habe.

Der EGMR wies dieses Argument zurück. Er führte aus, aus einer Reihe seiner Entscheidungen ergebe sich, dass die Unschuldsvermutung bis zur endgültigen Verurteilung anwendbar sei. Der Beschwerdeführer sei wegen der berücksichtigten Tagen angeklagt gewesen. Er sei auch darauf hingewiesen worden, dass diese Taten zu seinen Lasten berücksichtigt werden könnten.  Daher habe er immer noch unter einer „strafrechtlichen Anklage“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 gestanden, so dass die Unschuldsvermutung anwendbar sei.

Der Gerichtshof verwies darauf, dass die Unschuldsvermutung nach seiner Rechtsprechung zwei Aspekte habe: Einerseits beinhalte sie, bestimmte prozessuale Garantien wie das Gebot, dass Gerichte unvoreingenommen sein müssten und verpflichtet seien, das Verfahren ohne vorgefasste Meinungen zu führen.

Andererseits folge aus Art. 6 Abs. 2 auch, dass Personen nicht als schuldig behandelt werden dürften, nachdem sie freigesprochen oder das Verfahren gegen sie eingestellt worden sei. Hier sei aber zwischen Freisprüchen und Einstellungen zu unterscheiden. Nach erfolgtem Freispruch sei es nicht zulässig, wenn staatliche Stellen noch den Verdacht äußerten, dass der Betroffene schuldig sei. Dagegen sei nach einer Einstellung des Verfahrens nur eine gerichtliche Entscheidung unzulässig, aus der sich ergebe, dass der Betroffene schuldig sei.

Der EGMR wies darauf hin, dass er bereits Fälle entschieden habe, in denen Bewährungen wegen einer neuen Tat widerrufen worden seien, ohne dass der Betroffene wegen dieser Tat verurteilt worden sei. In diesen Fällen habe er eine Verletzung von Art. 6 EMRK festgestellt. Der vorliegende Fall liege aber anders. Im vorliegenden Fall seien Tatsachenfeststellungen vor dem Gericht getroffen worden, dass über die Schuld entschieden habe. Auch seien dies Aussagen durch das Gericht in einem Urteil getroffen worden, das sich mit einer Reihe gleichgelagerter Fälle auseinandersetze.

Man müsse dem prozessualen Kontext der Aussage des Gerichtes im Blick behalten. Die Einstellung sei am letzten Tag der Beweisaufnahme erfolgt, nachdem 17 Tage lang Beweis erhoben worden sei. Das Gericht habe mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass es überzeugt sei, dass der Beschwerdeführer die Taten begangen habe. Es habe hohe Beweisstandards nach deutschem Recht angewandt. Es obliege den einzelnen Vertragsstaaten der EMRK, Beweisstandards zu definieren. Das Gericht haben den in Deutschland geltenden Standards entsprochen.

Auch sei zu berücksichtigen, dass Staaten nach der EMRK auf verpflichtet seien, effektive Maßnahmen gegen Sexualdelikte zu ergreifen.

Nach alledem habe es nicht gegen die Unschuldsvermutung verstoßen, die eingestellten Taten zu Lasten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen. Der Gerichtshof stellte keine Verletzung vom Art. 6 EMRK fest.

Bikas gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 76607/13, Urteil vom 25.01.2018

 

 

 

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