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The Business of Human Rights

Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Allgemein

EGMR: Auferlegung der Verfahrenskosten verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung – Demjanjuk gegen Deutschland

Holger Hembach · 27. Februar 2019 ·

Sachverhalt:

Der Fall findet seinen Ursprung in einer Beschwerde der Amerikaner Frau Vera Demjanjuk und ihrem Sohn John Demjanjuk (im Folgenden V.D und J.D.) gegen die Bundesrepublik Deutschland. Das Münchener Landgericht II hatte entschieden, die notwendigen Auslagen des verstorbenen angeklagten John Demjanjuk (Ehemann und Vater der Beschwerdeführer) nicht zu erstatten. Die Beschwerdeführer sahen in dieser Entscheidung einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 II EMRK. Das Berufungsgericht verwarf die Beschwerde gegen die Entscheidung aufgrund fehlender Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer. Darin sahen die Beschwerdeführer wiederrum einen Verstoß gegen ihr Recht auf Zugang zu einem Gericht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK.

Am 12 Mai 2011 wurde John Demjanjuk vom Münchener Landgericht II, nach 91 Prozesstagen wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen verurteilt. Demjanjuk hatte in seiner Position als Wachmann im polnischen Konzentrationslager Sobibor, zwischen dem 27. März und dem September 1943, systematisch bei den Morden an Juden geholfen. Das Urteil wurde jedoch nicht rechtskräftig, da sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung Revision einlegten. John Demjanjuk verstarb am 17. März 2012.

Am 5. April 2012 entschied das Landgericht das Verfahren einzustellen und die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht zu erstatten. Das Gericht berief sich in dieser Entscheidung auf §§206a Abs. 1 und 467 Abs. 2 Nr.2 der deutschen Strafprozessordnung. §206a Abs. 1 erlaubt es dem Gericht, ein Verfahren einzustellen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht. Der Tod eines Angeschuldigten, stellt offensichtlich ein solches Verfahrenshindernis dar. Nach §467 Abs.  2 Nr.2 kann ein Gericht, wenn ein Angeschuldigter wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht, davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen. Dieses Ermessen darf von dem Gericht jedoch nur ausgeübt werden, wenn ein auf die bisherige Beweisaufnahme der ausgesetzten Hauptverhandlung gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei einer neuen Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden. (BGH 3 StE 7/94 – 1 (2) (StB 1/99)) Es muss also klar sein, dass ohne das Verfahrenshindernis (vorliegend nun mal der Tod des Angeklagten) der angeklagte John Demjanjuk verurteilt worden wäre.

Der Anwalt des Verstorbenen, legte Revision gegen das Urteil des Landgerichts ein. Unter anderem mit der Begründung, dass eine Nichterstattung der Kosten des Angeklagten gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK verstoße. In der Entscheidung, die Kosten nicht zu erstatten könnte ein Schuldspruch liegen. Das vorherige Urteil des Landgerichts (s.o.) sei nie rechtskräftig geworden, da Staatsanwaltschaft und Verteidigung dagegen in Revision gingen. Dies führt dazu, dass der Angeklagte bis zu seinem Tod nicht endgültig verurteilt und damit für schuldig befunden wurde. Nach Art. 6 Abs. 2 EMRK gilt ein Angeklagter solange als unschuldig bis seine Schuld gesetzlich bewiesen ist.

Am 17. April 2012 stellten die Beschwerdeführer dem Anwalt des Verstorbenen Vollmachten aus.

Anfang Oktober 2012 verwarf das Münchener Berufungsgericht die Berufung als unzulässig aufgrund von fehlender Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer V.D. und J.D. Die Beschwerdebefugnis könne nur der Angeklagte innehaben.  Außerdem hielt das Berufungsgericht die Berufung für unbegründet, da die Entscheidung des Münchener Landgerichts, die notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten nicht zu erstatten, nicht notwendigerweise einen Schuldspruch enthalte.

Am 18 Dezember 2014 nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.  

 

Rechtliche Beurteilung: 

Der EGMR prüfte den Fall im Hinblick auf eine Verletzung des in Art. 6 I genannten Rechts auf Zugang zu einem und auf eine Verletzung der in Art. 6 Abs. 2 genannten Unschuldsvermutung.

Der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK soll darin gelegen haben, die Berufung der Beschwerdeführer nicht zuzulassen. Der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK darin, dass den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht erstattet wurden, obwohl dies von Art. 6 II EMRK verlangt werde.

Der EGMR räumte ein, dass die Entscheidung des Gerichts die Berufung aufgrund fehlender Beschwerdebefugnis nicht zuzulassen,  abstrakt betrachtet, Art. 6 Abs. 1 EMRK widersprechen könnte. Allerdings müsse betont werden, dass die Berufung außerdem vom Berufungsgericht als unbegründet beurteilt wurde und somit der Fall von dem Gericht in seiner Gesamtheit betrachtet worden ist. Dies führt dazu, dass die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf Zugang zu einem Gericht Art. 6 I EMRK verletzt wurden.

Eine Verletzung der Unschuldsvermutung dem. Art. 6 Abs. 2 EMRK lehnte der EGMR ebenfalls ab. Im Kontext des vorliegenden Falles muss ganz klar zwischen einem dringendem Tatverdacht und einen Schuldspruch unterschieden werden. Während ein Schuldspruch die Unschuldsvermutung verletzen würde, tut ein Tatverdacht dies jedoch nicht. Die Entscheidung des Landgerichts beruhte lediglich auf einem Tatverdacht gegen den Angeklagten nicht auf einem Schuldspruch.

Weder das Recht auf gerichtliches Gehör, noch die Unschuldsvermutung sind somit in irgendeiner Weise verletzt worden.

 

 

Kein Verstoß gegen Art. 6 EMRK bei Verwertung frührerer Aussage der Ehefrau trotz Zeugnisverweigerung – N.K. gegen Deutschland

Holger Hembach · 8. Februar 2019 ·

Wer mit dem Beschuldigten in einem Strafverfahren verheiratet ist, hat ein Zeugnisverweigerungsrecht. Sagt der Ehepartner zunächst aus, entschließt sich aber später, das Zeugnisverweigerungsrecht auszuüben, können die früheren Aussagen im Verfahren nicht verwertet werden. Ein Ausnahme gilt dann, wenn ein Richter die Person, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt ist, vernommen hat. In diesem. Falle kann der Richter, der die Vernehmung durchgeführt hat, als Zeuge vernommen werden und aussagen, was der Ehepartner ihm gegenüber ausgesagt hat. Mit dieser Konstellation hat sich der EGMR im Fall N.K. gegen Deutschland beschäftigt. Er stellte keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren fest.

Sachverhalt

Im August 2009 wurde gegen den Beschwerdeführer (N.K.) ein vorläufiges Verfahren eingeleitet, aufgrund des Verdachtes der Gewaltanwendung des Beschwerdeführers gegenüber seiner Frau R.K.

Ende September 2009 wurde der Beschwerdeführer verhaftet und inhaftiert. Im Mai 2010 wurde das Hauptverfahren gegen ihn eröffnet.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde der Beschwerdeführer von der Anhörung seiner Frau im Zuge des Verfahrens ausgeschlossen, da die Sorge bestand R.K. werde unter Anwesenheit des Beschwerdeführers nicht wahrheitsgemäß aussagen. §168c III StPO ermöglicht einen solchen Ausschluss eines Beschuldigten von der Verhandlung, wenn dessen Anwesenheit den Untersuchungszweck gefährden würde. Dies gilt besonders, wenn der Verdacht besteht, ein Zeuge werde unter Anwesenheit des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens wurden auch zwei Polizeibeamte als Zeugen angehört.

Bei einer weiteren Anhörung im Juni 2010 teilte R.K. mit, dass sie sich nicht mit der Nutzung ihrer Aussage oder ihrer Untersuchungsergebnisse als Beweismittel einverstanden erkläre.

Die Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer fand vor dem Landgericht Anrnsberg statt. Im Verfahren wurde der Richter als Zeuge vernommen, der die Vernehmung der Frau des Beschwerdeführers durchgeführt hatte. Er gab wieder, was die Frau in ihrer richterlichen Vernehmung ausgesagt hatte. Der Beschwerdeführer widersprach der Verwertung der Aussage, weil die Frau des Beschwerdeführers sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte.

Der Beschwerdeführer berief sich auch auf Art. 6 III d) EMRK. Art. 6 EMRK behandelt das Recht auf ein faires Verfahren. Abs. 3 d) garantiert dem Angeklagten das Recht Fragen an Belastungszeugen zu stellen. Der Beschwerdeführer war der Meinung durch den Ausschluss in  seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt zu sein, weil durch die Vernehmung des Richters die Aussage seiner Frau in das Verfahren eingeführt wurde, ohne dass er die Möglichkeit hatte, sie zu befragen.

Das Landgericht vernahm auch weitere Zeugen, unter anderem die Polizisten, die nach dem Vorfall herbeigerufen worden waren.

Am 28.06.2010 verurteilte das Landgericht Arnsberg den Beschwerdeführer wegen viermaliger gefährlicher Körperverletzung (und dem Autofahren ohne Führerschein) zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft.

Am 29.06.2010 legte der Beschwerdeführer Revision beim BGH ein. Er behauptete, dass Beweise welche durch einen Bruch des Art. 6 III d) EMRK erlangt wurden im Verfahren nicht zulässig sein könnten. Im Dezember 2010 verwarf der BGH die Revision. Die Aussage der R.K. wurde nicht unfairer Weise zum Verfahren zugelassen, sondern von mehreren anderen bedeutenden Faktoren untermauert.

Am 11.01.2011 reichte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Im April 2012 beschloss das BVerfG ,die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung zu nehmen, ohne dies zu begründen.

 Rechtliche Beurteilung

Der EGMR prüfte den Fall im Hinblick auf eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK. Der Beschwerdeführer stütze seine Beschwerde auf Art. 6 III d) EMRK, wonach es ihm zusteht einen Belastungszeugen zu befragen. Dies wurde ihm vorliegend verwehrt, da R.K. sich nach der Anhörung vor dem Richter weigerte im weiteren Verfahren auszusagen. Durch den Ausschluss des Beschwerdeführers von der Anhörung der R.K. ist also in sein Recht auf ein faires Verfahren eingegriffen worden.

Der EGMR stellte fest, dass der Ausschluss des Beschwerdeführers von der Anhörung seiner Frau nicht unbegründet erfolgte und auch die Entscheidung des Gerichts ihre Aussage im Verfahren als zulässig zu erachten begründet war. Dem Beschwerdeführer wurde es außerdem im Verfahren ermöglicht, den als Zeuge fungierenden Richter zu befragen, was dieser nicht tat. Weiterhin hatte der Beschwerdeführer während des Verfahrens die Möglichkeit selbst auszusagen und seine eigene Version der Geschehnisse vorzutragen, worauf dieser ebenfalls verzichtete. Das Urteil des Landgerichts wurde zudem nicht nur auf die Aussage der R.K. gestützt, sondern vielmehr auf eine Vielzahl von Aussagen, die die Geschehnisse schilderten. Im Hinblick auf diese Umstände beurteilte der EGMR das Verfahren als gesamtes, als ein immer noch faires Verfahren.

Das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 III d) EMRK sei insofern nicht verletzt.

 

 

 

 

 

 

EGMR: Kein Recht auf Heimunterricht – Wunderlich gegen Deutschland

Holger Hembach · 11. Januar 2019 ·

Zusammenfassung

Im Fall Wunderlich gegen Deutschland hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden, dass Eltern kein Recht haben, ihre Kinder dem Schulsystem zu entziehen und ausschließlich zu Hause zu unterrichten. Die Beschwerdeführer waren ein Ehepaar, das das staatliche Schulsystem ablehnt. Die Eheleute haben vier Kinder. Als ihre älteste Tochter schulpflichtig wurde, meldeten die Beschwerdeführer sie nicht in einer Schule an. Die Behörden verhängten mehrere Geldbußen gegen die Eltern und es wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Die die Eltern die Tochter dennoch nicht zur Schule anmeldeten, entzog das Jugendamt ihnen Teile des elterlichen Sorgerechts einschließlich des Aufenthaltsbestimmungsrechtes. 

Darüber hinaus wurden die Kinder der Beschwerdeführer diesen zeitweilig entzogen und in einem Kinderheim untergebracht. Die Eltern machten geltend, dies verstoße gegen das Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK. Der Gerichtshof war der Auffassung, die Maßnahme stelle einen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar.

Dieser Eingriff sei aber nach Art. 8 Abs. 2 gerechtfertigt. Er habe eine gesetzliche Grundlage und diene einem legitimen Ziel, nämlich dem Wohl und der sozialen Integration der Kinder. Weiterer Diskussion bedürfe lediglich, ob der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechtes in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei. Hier sei zu berücksichtigen, dass dem Staat ein Einschätzungsspielraum zustehe. Diesen Einschätzungsspielraum hätten die deutschen Gerichte nicht überschritten. Die Gerichte hätten zwischen den Interessen und denen der Kinder sorgfältlig abgewogen. Die Annahme, dass der Schulbesuch zur Integration der Kinder in die Gesellschaft und zum Erlernen des sozialen Umgangs mit anderen erforderlich sei, sei nachvollziehbar. Auch hätten alle Seiten die Gelegenheit gehabt, ihre Standpunkte ausführlich vorzutragen und die zuständigen Gerichte hätten sich mit den Argumenten gründlich auseinandergesetzt.

Der Gerichtshof stellte keine Verletzung von Art. 8 EMRK fest.

 

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer haben vier Kinder. Sie lehnen das staatliche Schulsystem ab. Im Jahr 2005 erreichte ihre älteste Tochter das Alter, in dem sie schulpflichtig wurde. Die Beschwerdeführer lehnten es ab, sie in einer staatlichen Schule anzumelden. Es wurden mehrere Geldbußen gegen sie verhängt und ein Strafverfahren eingeleitet. Zwischen 2008 und 2011 lebten die Beschwerdeführer mit ihren Kindern im Ausland. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahre 2011 meldeten sie ihre Kinder erneut nicht in einer staatlichen Schule an. 

Im Juli 2012 informierte das Staatliche Schulamt das zuständige Familiengericht darüber, dass die Beschwerdeführer sich weigerten, ihre Kinder in einer Schule anzumelden. Sie übersandten dem Gericht eine Liste von Geldbußen und Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführer und von anderen Vorfällen seit 2005. Das Schulamt kam zu dem Ergebnis, dass die Kinder in einer Parallelwelt aufwuchsen und keine Erziehung erhielten, die sie in die Lage versetzt hätte, am gesellschaftlichen Leben in Deutschland teilzunehmen.

Das Familiengericht Darmstadt führte eine Anhörung durch. In dieser teilten die Beschwerdeführer mit, dass sie ihre Kinder unter keinen Umständen in einer staatlichen Schule anmelden würden. Die Kinder erklärten, dass sie vornehmlich von ihrer Mutter unterrichtet würden. Der Unterricht dauere von 10 bis 15 Uhr, mit einer Mittagspause.

Im September 2012 entzog das Familiengericht Darmstadt den Beschwerdeführern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder und übertrug diese Recht dem Jugendamt. Es entzog den Beschwerdeführern auch das Recht, in Schulangelegenheiten Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen und im Namen ihrer Kinder Rechtsmittel einzulegen. Das Familiengericht übertrug diese Rechte auf das Jugendamt.

Es führte zur Begründung aus, die Weigerung der Eltern, ihre Kinder in einer staatlichen Schule anzumelden, verstoße nicht nur gegen § 67 des Hessischen Schulgesetzes, sondern sei auch ein Missbrauch elterlicher Autorität, der langfristig das Wohl der Kinder gefährde. Unabhängig davon, ob die Kinder durch den Heimunterricht das notwendige Wissen erlangen könnten, seien sie jedenfalls durch den Heimunterricht nicht in der Lage, die notwendigen sozialen Kompetenzen zu erwerben, um am gesellschaftlichen Leben in Deutschland teilzunehmen. Sie müssten anderen Einflüssen ausgesetzt werden als lediglich denjenigen im eigenen Elternhaus.

Die Beschwerdeführer legten Rechtsmittel ein.

Das Jugendamt teilte den Beschwerdeführern mit, dass es einen Test des Wissenstandes der Kinder durchführen wolle, um sie in der Schule in die richtige Klasse einstufen zu können. Die Beschwerdeführer und ihre Kinder weigerten sich, an dem Test teilzunehmen.

Im April 2013 lehnte das Oberlandesgericht Frankfurt das Rechtsmittel im Wesentlichen ab. Es führte aus, dass die Kinder der Beschwerdeführer nicht in der Schule erschienen wären, obwohl das Urteil des Familiengerichts Darmstadt vollstreckbar gewesen sei.

Das Oberlandesgericht verwies auch darauf, dass die Weigerung der Eltern, ihre Kinder zu einer Schule zu schicken, eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohles sei. Es sei eine Abwägung der verschiedenen Interessen anzustellen. Eine Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes sei nicht schon deshalb gerechtfertigt, um Kindern die bestmögliche Erziehung zu ermöglichen. Sie könne lediglich dann gerechtfertigt sein, um Gefahren für das Wohl der Kinder abzuwenden.

Die Beschwerdeführer legten Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht nahm diese ohne  Begründung nicht zur Entscheidung an.

Trotz der Gerichtsentscheidungen weigerten sich die Eltern weiterhin, die Kinder eine Schule zu schicken. Im August 2013 wurden die Kinder in ein Kinderheim gebracht. Die Kinder mussten dabei einzeln von Polizisten hinausgetragen werden, weil sie sich weigerten, mitzukommen.

Rechtliche Beurteilung

Eingriff in das Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK

Der EGMR prüfte den Fall im Hinblick auf eine Verletzung des Rechts auf Respekt vor dem Familienleben nach Art. 8 EMRK. Das Recht auf Respekt vor dem Familienleben kann unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden. Beschränkungen sind gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK möglich, wenn 

  • sie eine gesetzliche Grundlage haben
  • einem legitimen Ziel dienen
  • in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind

Es war zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig, dass die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Entziehung der Kinder und ihre Unterbringung in einem Kinderheim einen Eingriff in das Recht auf Familienleben darstellten. Auch der Gerichtshof sah dies als unproblematisch an.

 

Rechtfertigung des Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK

Es gab auch keinen Zweifel, dass diese Maßnahmen auf § 1666 und § 1666 a BGB gestützt waren. Es gab damit also eine gesetzliche Grundlage.

Die Beschwerdeführer bezweifelten aber, dass die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes einem legitimen Ziel diente. Sie machten geltend, der Entziehung dieser elterlichen Rechte hätte nicht dem Schutz der Gesundheit oder ihrer Rechte und Freiheiten gedient. Die Gesundheit der Kinder sei nicht in Gefahr gewesen. Auch seien die gerichtlichen Maßnahmen nicht aus sonstigen Gründen zum Schutz der Kinder notwendig gewesen. Die Eltern hätten die Kinder zu Hause unterrichtet und ihnen das notwendige Wissen vermittelt. Die zwangsweise Einschulung hätte den Kindern eher geschadet als sie zu schützen.

Der EGMR setzte sich mit diesen Argumenten im Zusammenhang mit der Prüfung des legitimen Ziels nicht näher auseinander. Er stellte fest, dass die Vorschriften, die die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch die Eltern ermöglichten, generell dem Schutz der körperlichen und mentalen Gesundheit der Kinder dienten. Es gebe keinen Grund anzunehmen, dass die Vorschriften in diesem Fall aus einem anderen Grund angewandt worden seien.

Der Gerichtshof konzentrierte seine Prüfung auf die Frage, ob die Beschränkung der elterlichen Rechte in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen seien. Hierbei komme es darauf an, ob die deutschen Behörden und Gerichte relevante und hinreichende Begründung für ihre Entscheidung genannt hätten. Art. 8 EMRK erfordere es, dass eine Abwägung erfolge zwischen den Interessen des Kindes und den Interessen der Eltern. Dabei müsse besonders den Interessen der Kinder Rechnung getragen, die, abhängig von ihrer Bedeutung und Ernsthaftigkeit, den Interessen der Eltern vorgehen könnten.

Es sei auch zu berücksichtigen, dass die deutschen Behörden und Gerichte einen gewissen Beurteilungsspielraum hätten. Durch den direkten Kontakt mit allen betroffenen Personen seien sie in besonderem Maße in der Lage, die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen einzuschätzen.

Der Gerichthof führte aus, dass alleine die Möglichkeit, dass ein anderes Umfeld für ein Kind besser wäre, es nicht rechtfertige, die elterliche Sorge zu beschränken. Dafür müssten andere Gründe vorliegen. Die deutschen Gerichte hätten die Beschränkung der elterlichen Rechte damit gerechtfertigt, dass die betroffenen Kinder in einem “symbiotischen System” aufwüchsen, was es ihnen nicht ermögliche, notwendige soziale Fähigkeiten zu erwerben. Diese Argumentation hielt der Gerichtshof für nachvollziehbar. 

Er verwies auch auf seine frühere Rechtsprechung zur Schulpflicht in Deutschland. In dieser hatte er darauf entschieden, dass es innerhalb des Beurteilungsspielraums liege, den Staaten bei der Umsetzung der Konvention hätten, wenn sie eine Schulpflicht einführten, um Parallelgesellschaften zu vermeiden und eine Integration von Kindern in die Gesellschaft zu gewährleisten. Diese Ziele seien im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Bedeutung von Pluralismus für die Gesellschaft. 

Die Durchsetzung der Schulpflicht, um die soziale Isolation von Kindern zu vermeiden und sicherzustellen, dass sie in die Gesellschaft integriert würden, sei ein relevanter Grund um die Rechte der Eltern zu beschränken. Es sei auch nachvollziehbar, dass die nationalen Behörden angenommen hätten, dass die Kinder gefährdet seien, wenn die Eltern sie nicht zur Schule schickten, sondern in einem geschlossenen System hielten. 

Der Gerichtshof führte weiter aus, die Gründe, die die deutschen Behörden und Gerichte angeführt hätten, seien auch hinreichend. Die Beschwerdeführer hätten hinreichende Möglichkeiten gehabt, ihren Standpunkt vorzutragen und zu verdeutlichen. Das Familiengericht Darmstadt hätte sowohl sie als auch die Kinder als auch Mitarbeiter des Jugendamtes als Zeugen gehört. Darüber hinaus hätten die Beschwerdeführer ihre Argumente in ausführlichen Schriftsätzen vorgetragen.

Die Entscheidung, das Aufenthaltsbestimmungsrecht teilweise zu entziehen sei auch verhältnismäßig gewesen. Da die Beschwerdeführer sich allen Anordnungen widersetzt hätten, seien mildere Mittel nicht aussichtsreich gewesen.

Der Gerichtshof stellte keine Verletzung von Art. 8 EMRK fest.

 

 

Neue UN-Hochkommissarin für Menschenrechte nominiert

Holger Hembach · 10. August 2018 ·

Der Generalsekretär der vereinten Nationen hat Michelle Bachelet als neue Hochkommissarin für Menschenrechte nominiert. Bachelet ist die ehemalige Präsidentin von Chile und eine prominente Verfechterin von Frauenrechten. Sie war zuvor die Chefin der UN-Einheit für Geschlechtergleichheit und die Stärkung von Frauen (UN-Women) Die New York Times hat einige biographische Details über sie veröffentlicht. Der Artikel findet sich hier. Die Wahl von Frau Bachelet muss nun von der UN-Vollversammlung bestätigt werden.

Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren – Dridi gegen Deutschland

Holger Hembach · 3. August 2018 ·

Zur EMRK gibt es umfangreiche und differenzierte Rechtsprechung. Ob ein Verstoß gegen die Konvention vorliegt, ist häufig schwer festzustellen, und oft lässt sich kaum vorhersagen, wie der EGMR entscheiden wird. In einigen Fällen liegt die Konventionsverletzung aber offen zutage. Der Fall Dridi gegen Deutschland gehört meines Erachtens eher in die zweite Kategorie. In diesem Fall stellte der Gerichtshof im Zusammenhang mit einem Strafverfahren eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren fest.

Sachverhalt:

 Der Beschwerdeführer war 2009 vom Amtsgericht Hamburg zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen verurteilt worden. In diesem Verfahren wurde er von einem Jurastudenten vertreten (die Strafprozessordnung sieht vor, dass in bestimmten Fällen mit Genehmigung des Gerichts auch Personen als Verteidiger auftreten dürfen, die keine Rechtsanwälte oder Hochschullehrer sind, § 138 Abs. 2 StPO).  

Der Beschwerdeführer legte Berufung ein. Er beantragte auch, ihn von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Berufungsverhandlung zu entbinden. Auch die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein, die sie auf das Strafmaß beschränkte.

Nach Einlegung der Berufungen zog der Beschwerdeführer nach Spanien. Er informierte das Gericht über seine dortige Adresse.

Das Landgericht Hamburg zog am 24.04.2009 die Genehmigung, dass der Jurastudent als Verteidiger auftreten durfte, zurück. Es wies auch den Antrag zurück, den Beschwerdeführer von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Diese Entscheidung schickte das Gericht den Beschwerdeführer an seine Adresse in Spanien.

Am gleichen Tage beraumte es die Berufungsverhandlung für den 13.05.2009 an. Das Landgericht entschied, den Beschwerdeführer zu dieser Verhandlung über eine öffentliche Zustellung zu laden. Dabei wird die Ladung bei Gericht ausgehängt und der Angeklagte gilt nach zwei Wochen als ordnungsgemäß geladen.

Einen Tag vor der Verhandlung erfuhr der Student, der den Beschwerdeführer verteidigt hatte, per Telefon, dass das Oberlandesgericht die Entscheidung aufgehoben hatte, seine Genehmigung zum Auftreten als Verteidiger zurückzuziehen. Er erfuhr auch, dass die Hauptverhandlung über die Berufung am folgenden Tage stattfinden sollte.

Der Verteidiger beantragte daher per Fax, die Hauptverhandlung zu vertagen, weil er am nächsten Tag nicht in der Stadt sein werde. Darüber hinaus beantragte er, dass ihm Dokumente aus der Akte – vor allem die Berufungsschrift der Staatsanwaltschaft – übersandt werden sollten. Das Gericht versuchte, die Dokumente per Fax zu übersenden, was aber nicht gelang, weil das Faxgerät des Verteidigers keine Dokumente empfangen konnte.

Am 13.05.2009, also am Tag der Hauptverhandlung, wie das Landgericht den Antrag auf Verlegung der Hauptverhandlung zurück. Es führte aus, der Rechtsanwalt habe auf sein Recht auf Ladung innerhalb der vorgesehenen Frist verzichtet, weil ihm der Termin der Hauptverhandlung bekannt gewesen sei (wie sich aus seinem Fax vom Vortag ergebe).

Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers, weil der Beschwerdeführer ohne Entschuldigung nicht erschienen sei und auch nicht von einem Verteidiger vertreten worden sein.

Der Beschwerdeführer beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Es führte aus, dass die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung vorgelegen hätten. Der Verteidiger hätte auf die Ladungsfrist verzichtet und sein Antrag auf Verlegung des Termins hätte sich nicht auf die Nichteinhaltung der Ladungsfrist sondern auf Terminprobleme geschützt, die er nicht näher beschrieben hätte.

Das Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Beschwerdeführer legte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein; das Bundesverfassungsgericht nahm diese ohne Begründung nicht zur Entscheidung an.

 

Rechtliche Beurteilung:

Verstoß gegen Artikel 6 Abs.1 und Abs. 3 c) EMRK

Der Beschwerdeführer stützte seine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf Art. 6 Abs. 1 und Absatz 3 c) der EMRK. Art. 6 Abs. 1 regelt das Recht auf ein faires Verfahren; der dritte Absatz des Artikels hat bestimmte Aspekte dieses Rechts zum Gegenstand. Buchstabe c) dieses Absatzes garantiert das Recht, sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen.

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer zum Erscheinen in der Berufungsverhandlung verpflichtet gewesen war und dass die Berufung verworfen worden war, weil er nicht erschienen war. Er führte aus, dass die Adresse des Beschwerdeführers in Spanien dem Landgericht bekannt gewesen war, dass eine vorherige Entscheidung erfolgreich an diese Adresse zugestellt worden war. Auch habe es keine erfolglosen Versuche gegeben, den Beschwerdeführer Dokumente zuzustellen. Der Beschwerdeführer sei auch sonst nicht darauf hingewiesen worden, dass ihm eine Ladung durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt worden sei – obwohl Art. 5 der EU Konvention über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 29.05.2000 eine Übersendung mit der Post vorsehe. Außerdem habe der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Ladung keinen Verteidiger gehabt, weil zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung noch in Kraft gewesen sei, dass der Student ihm nicht vertreten dürfe. Aufgrund dieser Erwägungen sei der Gerichtshof davon überzeugt, dass die öffentliche Zustellung der Ladung nicht genug gewesen sei, um den Beschwerdeführer in die Lage zu versetzen, der Hauptverhandlung in seiner Sache beizuwohnen.

Insofern liege ein Verstoß gegen Art. 6 vor

 

Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 b) EMRK

Darüber hinaus stützte sich der Beschwerdeführer auf Art. 6 Abs. 3 b), der das Recht garantiert, ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu haben.

Der Gerichtshof führte aus, der Verteidiger habe erst einen Tag vor der Hauptverhandlung erfahren, dass diese am nächsten Tag stattfinden sollte. Er habe nicht über eine Kopie der Berufungsschrift der Staatsanwaltschaft verfügt der Verteidiger habe eine Vertagung beantragt; dieser Antrag sei aber zurückgewiesen worden. Insofern könne man nicht davon ausgehen, dass der Verteidiger auf sein Recht auf fristgemäße Ladung verzichtet habe und dass er in der Lage gewesen sei, sich auf die Verteidigung vorzubereiten und an der Hauptverhandlung teilzunehmen.

Auch insofern liege ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK vor.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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