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Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Der Fall A.A. und andere gegen Nordmazedonien

Holger Hembach · 11. April 2022 ·

Urteil vom 5.4.2022 – Massen-Pushback verstößt nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention

Hintergrundinformationen

Im Laufe des Jahres 2014 stieg die Zahl der Migranten, die unter anderem aus Afghanistan, dem Irak und Syrien kamen und versuchten, verschiedene Länder der Europäischen Union zu erreichen, erheblich an. Eine der häufig genutzten Routen war die sogenannte „Balkanroute“, die von der Türkei über Griechenland in die damalige ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und dann über Serbien in die Europäische Union führte. Als Reaktion auf den Zustrom von Geflüchteten verfolgten die Länder entlang der Route eine „Durchreisestrategie“, wobei sie die Migranten größtenteils passieren ließen. In der zweiten Jahreshälfte 2015 wurden die anhaltenden irregulären Migrantenströme besorgniserregend und veranlassten die Europäische Union, sich mit der Situation zu befassen. Am 8. März 2016 trat ein Beschluss in Kraft, der die Einreise und den kontrollierten Transit von Migranten, die die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllten oder in Nordmazedonien kein Asyl beantragten, verhinderte.

Sachverhalt

Die Beschwerdeführer sind fünf syrische Staatsangehörige, zwei irakische Staatsangehörige und ein afghanischer Staatsangehöriger, die ihre Heimatländer verließen und nach Griechenland flohen. Dort gehörten sie zu zwei großen Gruppen von Geflüchteten, die am 14. März 2016 ein Lager in der griechischen Grenzstadt Idomeni verlassen hatten, um sich dem sogenannten „Marsch der Hoffnung“ anzuschließen, bei dem sie einen Fluss durchquerten, um in das Hoheitsgebiet Nordmazedoniens zu gelangen. Wenig später wurde die Gruppe von Soldaten abgefangen, die ihnen angeblich mit Gewalt drohten und ihnen befahlen nach Griechenland zurückzukehren. Daraufhin überquerte die Gruppe zu Fuß die Grenze zurück nach Griechenland.

Die Beschwerdeführer richteten sich mit ihrem Antrag gegen ihre Massenabschiebung, da kein Fall individuell geprüft worden sei und sie nicht die Möglichkeit gehabt hätten effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Dabei beriefen sie sich auf Art. 4 des Protokolls Nr. 4 (Verbot der Kollektivausweisung) und Art. 13 der EMRK (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf).

Überlegungen des Gerichts

Die Beschwerdeführer waren aus dem beklagten Staat abgeschoben worden, ohne dass sie von den Behörden Nordmazedoniens einem Identifizierungsverfahren oder einer Prüfung ihrer persönlichen Situation unterzogen wurden. Dies legt den Schluss nahe, dass ihre Ausweisung kollektiven Charakter hatte, es sei denn, die fehlende Prüfung ihrer Situation war auf ihr eigenes Verhalten zurückzuführen. Der Gerichtshof prüfte daher, ob das Fehlen individueller Abschiebungsentscheidungen durch das eigene Verhalten der Beschwerdeführer gerechtfertigt werden konnte.

Die Beschwerdeführer gehörten zu zwei großen Gruppen von Migranten, die die Grenze Nordmazedoniens unerlaubt überschritten hatten. Es gab jedoch keine Anzeichen dafür, dass die Antragsteller oder andere Personen aus der Gruppe Gewalt angewendet oder sich den Beamten widersetzt hätten.

Das Gericht prüfte dennoch, ob die Kläger durch den illegalen Grenzübertritt ein wirksames Verfahren zur legalen Einreise umgangen hatten.

Das mazedonische Recht habe den Antragstellern die Möglichkeit eingeräumt, an den Grenzübergängen in das Hoheitsgebiet des beklagten Staates einzureisen, wenn sie die Einreisekriterien erfüllt hätten. Falls dies nicht der Fall gewesen sei, hätten die Beschwerdeführer Asyl beantragen oder zumindest erklären können, dass sie die Absicht hätten, Asyl zu beantragen. Darauf hätte eine Prüfung der individuellen Umstände jedes Antragstellers und eine Entscheidung über die Ausweisung erfolgt. Gegen eine Ausweisungsentscheidung hätte ein Rechtsbehelf eingelegt werden können.

Zwischen dem 19. Juni 2015 und dem 8. März 2016 seien laut dem beklagten Staat fast 500.000 Bescheinigungen über eine geäußerte Absicht, einen Asylantrag zu stellen, ausgestellt worden, von denen die große Mehrheit an dieselben Nationalitäten wie die Antragsteller im vorliegenden Fall vergeben worden sei.

Der dem Lager nächstgelegene Grenzübergang, der Bogorodica-Grenzübergang, war dabei einer der beiden am stärksten frequentierten Grenzübergänge, an dem bis Ende Dezember 2015 mehr als 300.000 Zertifikate ausgestellt worden waren. Es gab zwar keine spezifischen Informationen über die Verfügbarkeit von Dolmetschern, aber es hatte nicht in Frage gestanden, dass einige Dolmetscher vor Ort waren.

Somit habe nicht nur eine rechtliche Verpflichtung zur Annahme von Asylanträgen und entsprechend geäußerter Absichten bestanden, sondern auch eine tatsächliche Möglichkeit, dies zu tun.

Die Beschwerdeführer hatten dagegen vorgetragen, dass es ihnen zum Zeitpunkt ihrer summarischen Abschiebung, d.h. am oder um den 14. und 15. März 2016, nicht möglich gewesen sei, am Grenzübergang Bogorodica Asyl zu beantragen, da die einschlägigen Daten bestätigten, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Bescheinigungen über eine geäußerte Absicht, Asyl zu beantragen, ausgestellt worden waren.

Der Gerichtshof stellte fest, dass nach dem 8. März 2016 die Durchreise aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweise der EU-Länder an das Problem der ständig steigenden Zahl von Migranten und der Reaktion anderer Länder entlang der Balkanroute faktisch nicht mehr möglich war. Es gab jedoch keinen Hinweis darauf, dass es nicht mehr möglich gewesen wäre, am Grenzübergang Asyl zu beantragen.

Nichts deutete darauf hin, dass potenzielle Asylbewerber in irgendeiner Weise daran gehindert worden waren, sich den legalen Grenzübergängen zu nähern und einen Asylantrag zu stellen. Es deute auch nichts darauf hin, dass die Beschwerdeführer versucht hatten, am Grenzübergang Asyl zu beantragen und zurückgeschickt worden waren. Die Beschwerdeführer in der vorliegenden Rechtssache hatten nicht einmal behauptet, dass sie jemals versucht hätten, auf legalem Wege in mazedonisches Hoheitsgebiet einzureisen. Daher war das Gericht nicht davon überzeugt, dass sie die erforderlichen stichhaltigen Gründe dafür gehabt hätten, den Grenzübergang Bogorodica oder eine andere Grenzübergangsstelle zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht zu benutzen, um in ordnungsgemäßer und rechtmäßiger Weise Gründe gegen ihre Ausweisung vorzubringen. Daraus ergebe sich, dass sie nicht daran interessiert gewesen seien, in dem beklagten Staat Asyl zu beantragen, sondern nur an der Durchreise, die nicht mehr möglich gewesen sei, und sich daher für die illegale Einreise entschieden hätten.

Aus diesen Gründen habe es der Staat trotz einiger Mängel im Asylverfahren und angeblicher Zurückschiebungen nicht versäumt, einen echten und wirksamen Zugang zu Verfahren für die legale Einreise nach Nordmazedonien zu gewähren, insbesondere durch die Einrichtung eines internationalen Schutzes an den Grenzübergangsstellen. Dass die Beschwerdeführer zwingende, auf objektiven, vom beklagten Staat zu vertretenden Tatsachen beruhende Gründe gehabt hätten, diese Verfahren nicht in Anspruch zu nehmen, sei nicht ersichtlich.

Vielmehr hätten sich die Antragsteller durch ihre Beteiligung an der illegalen Einreise in das mazedonische Hoheitsgebiet unter Ausnutzung der zahlenmäßigen Überlegenheit der Gruppe selbst in Gefahr gebracht. Das Fehlen individueller Abschiebungsentscheidungen sei eine Folge ihres eigenen Verhaltens gewesen.

Entscheidung des EGMR

Der Gerichtshof stellte schließlich einstimmig fest, dass kein Verstoß gegen Artikel 13 EMRK in Verbindung mit Artikel 4 des Protokolls Nr. 4 über die Verfügbarkeit eines wirksamen Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung zur Anfechtung der summarischen Abschiebung vorliege. Das mazedonische Recht sehe eine Rechtsmittelmöglichkeit gegen Abschiebungsanordnungen vor. Indem sie jedoch bewusst versucht hätten, als Teil einer großen Gruppe und an einem nicht genehmigten Ort in das Hoheitsgebiet einzureisen, hätten sich die Antragsteller in eine rechtswidrige Situation begeben und sich somit dafür entschieden, die bestehenden rechtlichen Verfahren nicht zu nutzen.

Allgemein Mazedonien, Pushback

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