Die Journalistin und Romanautorin Petra Reski hat sich als Mafia-Expertin einen Namen gemacht. In ihren Büchern beschäftigt sie sich auch mit den Geschäften und dem Einfluss der Mafia in Deutschland. Als einen mächtigen Angehörigen der Verbrecherorganisation hat sie dabei einen Erfurter Gastronomen identifiziert und in Büchern und Zeitungsartikeln benannt. Der wehrt sich gegen Reskis Einschätzung vor Gericht.
Vor kurzem führte das zu einem Streit zwischen der Journalistin und Jakob Augstein, dem Verleger des „Freitag„. Reski berichtete über einen Prozess, in dem der Restaurantbesitzer gegen die Behauptung in einem MDR-Bericht vorging, er sei ein Mitglied der Mafia. Dabei nannte sie seinen Namen; der „Freitag“ veröffentlichte den Artikel. Postwendend forderte der namentlich benannte Gastronom den „Freitag“ auf, die Nennung seines Namens zu unterlassen und machte Schadensersatzansprüche gegen die Autorin geltend.
Der „Freitag“ löschte den Artikel, ohne Rücksprache mit Petra Reski und weigerte sich, die Autorin im Verfahren über die Schadensersatzansprüche zu unterstützen. Kritiker machten geltend, es entspreche den Gepflogenheiten in solchen Fällen, dass Verlage ihren Autoren zur Seite stehen. Jakob Augstein, der Verleger des Freitag hielt dagegen, ein Verlag sei keine Rechtsschutzversicherung für schlechte Recherche. Petra Reski hat daraufhin das Geld für ihre Rechtsverteidigung per Crowdfunding gesammelt und Jakob Augstein wegen seiner Äußerungen verklagt, die sie als rufschädigend empfindet
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich nun mit einem Fall beschäftigt, der damit im Zusammenhang steht.
Sachverhalt
Petra Reski hatte 2008 ein Buch mit dem Titel „Mafia“ veröffentlicht. In diesem beschäftigte sie sich mit der Struktur der Mafia und ihren Verbindungen zu Deutschland. Sie nannte dabei auch namentlich den Besitzer eines italienischen Restaurants in Erfurt als ein mutmaßliches Mitglied der ‚Ndrangheta . Dieser sei bereits im Jahre 2000 in einem Bericht des Bundeskriminalamtes erwähnt worden. Er habe nach dem Bericht des BKA seine Laufbahn als Pizzabäcker in dem Restaurant „Da Bruno“ in Duisburg begonnen (in einem Restaurant dieses Namens fanden 2007 die Mafia-Morde von Duisburg statt; der Gatronom war aber offenbar in einem anderen Restaurant des gleichen Namens).
Er verfüge als Sponsor eines Golfklubs über gute Verbindungen. Als die Polizei sein Restaurant durchsucht habe, weil er eines Mordes verdächtig gewesen sei, hätten dort gerade der Ministerpräsident von Thüringen und der Innenstaatssekretär gegessen.
Die Autorin stützte sich für ihre Berichte auf zwei Berichte des BKA aus den Jahren 2000 und 2008. In beiden Berichten wurde der Gastronom als Mitglied der ‚Ndrangheta erwähnt. Die Berichte des BKA wurden nicht veröffentlicht.
Petra Reskis Buch erschien bei der Verlagsgruppe Droemer und Knaur.
Der Mann, der als Mafiamitglied genannt worden war, erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen die Veröffentlichung seines Namens in dem Buch.
Im folgenden Hauptsachverfahren begehrte er zusätzlich Schadensersatz wegen der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts von dem Verlag, der das Buch veröffentlich hatte. Das Gericht sprach ihm Schadensersatz in Höhe von 10.000 € zu.
Es befand, der Verlag habe bei der Veröffentlichung seine journalistische Sorgfaltspflicht nicht beachtet. Er hätte dem Restaurantbesitzer die Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Auch seien die Verdachtsmomente in den Berichten des BKA sehr vage gewesen. Auch hätte die Autorin (bzw. der Verlag) berücksichtigen müssen, dass es offenbar nicht genug Beweise für eine Anklage gegeben habe. Dies hätte in dem Buch auch erwähnt werden müssen. Der Verlag könne sich auch deshalb nicht auf die Berichte berufen, weil diese nie veröffentlich worden sein.
Der Verlag bot im Verfahren Beweise für die Mafiamitgliedschaft des Klägers an. Das Gericht hielt diese Beweisangebote aber für unerheblich.
Nach einer erfolglosen Verfassungsbeschwerde legte die Verlagsgruppe Droemer Knaur eine Beschwerde beim EGMR ein.
Rechtliche Beurteilung
Der EGMR hatte, wie so oft, abzuwägen zwischen der Presse- und Meinungsfreiheit und dem Recht auf Privatleben (das auch die Reputation erfasst) des Betroffenen. Er orientierte sich dabei an den Kriterien, die er in seiner Rechtsprechung entwickelt hat.
- Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse
Der Gerichtshof erkannte an, dass Beiträge über Straftaten allgemein und die Rolle der Mafia in Deutschland von öffentlichem Interesse sind.
- Thema der Berichterstattung und Bekanntheit der betroffenen Person
Der Gerichtshof geht davon aus, dass Personen die im Licht der Öffentlichkeit stehen, einen geringeren Anspruch auf Schutz haben. Er wies darauf hin, dass die deutschen Gerichte die Frage der Bekanntheit des Betroffenen nicht erörtert hatten. Der EGMR ging aber davon aus, dass der Betroffene Gastronom als Privatperson besonderen Schutz seines Rechts auf Privatleben genoss.
- Art der Informationsbeschaffung und Wahrhaftigkeit der Information
der Gerichtshof unterstrich, dass auch die Berichterstattung über wichtige Themen von öffentlichem Interesse nicht völlig frei sei. Nach Art. 10 Abs. 2 bringe die Presse und Meinungsfreiheit auch Pflichten und Verantwortung mit sich. Diese Pflichten und Verantwortung hätten dann eine besondere Bedeutung, wenn eine namentlich genannte Person von der Berichterstattung betroffen sei. Wichtig sei in diesem Zusammenhang die Schwere der Diffamierung der Person und die Verlässlichkeit der Quellen, auf die sich die Berichterstattung stütze.
Einerseits habe die Autorin es in dem Buch nicht als Tatsache dargestellt, dass der Gastronom der Mafia angehöre. Andererseits ergebe es sich aus der Darstellung, dass seine Mitgliedschaft in der kriminellen Organisation sehr wahrscheinlich sei. Dies habe der Verlag aber in den Prozessen in Deutschland nicht beweisen können.
Petra Reski habe sich auf Berichte des Bundeskriminalamtes stützen können. Diese seien aber interne Berichte gewesen, die nicht für die Veröffentlichung bestimmt waren. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Journalisten Informationen aus offiziellen Berichten ohne weitere Prüfung übernehmen dürfen. Der Gerichtshof führte nun aus, dass dies nicht gelte, wenn es sich lediglich um interne Dokumente handele. Die Autorin habe deshalb ihre journalistische Sorgfaltspflicht nicht erfüllt, als sie sich auf den Inhalt dieser Berichte verlassen habe.
- Früheres Verhalten der Person
Der Gerichtshof stellte fest, dass es vor der Veröffentlichung des größten keine Veröffentlichungen gegeben hatte, denen zur Folge der Betroffene einen Mafioso sei.
- Inhalt, Form und Konsequenzen der Veröffentlichung
Der EGMR ging davon aus, dass die Darstellung des Gastronomen als Mitglied einer gefährlichen Verbrecherorganisation dessen Ruf in erheblichem Maße beschädigte.
- Höhe der Sanktion
der Gerichtshof kam zu der Auffassung, dass die Auferlegung eines Schadensersatzes in Höhe von 10.000 € den Verlag nicht unverhältnismäßig belastete bzw. keinen unverhältnismäßigen Eingriff in dessen Recht auf Meinungsfreiheit darstellte.
Aufgrund dieser Erwägungen stellte der EGMR keine Verletzung von Art. 10 EMRK fest. Eine Richterin des Gerichtshofs gab eine abweichende Meinung ab; sie war der Auffassung, dass die nationalen Gerichte Fehler bei der Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem Recht auf Privatleben gemacht hatten. Nach ihrer Auffassung lag einer Verletzung von Art. 10 EMRK vor.
Die abweichende Meinung findet sich im Wortlaut und in einer deutschen Übersetzung auf der Webseite von Petra Reski. Dort ist auch eine Stellungnahme der Autorin.Und ein Interview mit ihr zu dem Urteil ist hier in der Taz erschienen
Verlagsgruppe Droemer Knaur g. Deutschland (Beschwerde Nr. 35030/13), Urteil vom 19.10.2017