Artikel 6 EMRK garantiert das Recht auf ein faires Verfahren „innerhalb angemessener Frist“. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat daraus und aus dem Recht auf eine wirksame Beschwerde (Artikel 13 EMRK) gefolgert, dass Staaten verpflichtet sind, ein Rechtsmittel zu schaffen, mit sich Verfahrensbeteiligte gegen allzu lange Verfahren zur Wehr setzen können (siehe zum Beispiel den Fall Kudla gegen Polen)
In Deutschland war das lange Zeit nur mit einer Verfassungsbeschwerde möglich. Der EGMR hat dann aber entschieden, dass die Verfassungsbeschwerde für überlange Verfahren kein effektives Rechtsmittel sei. Der Gesetzgeber hat daher in § 198 GVG einen Rechtsbehelf gegen überlange Verfahren aufgenommen. Nach dieser Vorschrift kann es ein Verfahrensbeteiligter rügen, wenn ein Verfahren zu lange dauert. Erleidet er durch die überlange Dauer des Verfahrens einen Nachteil, hat der Verfahrensbeteiligte einen Anspruch auf Entschädigung. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Verfahren zu lange dauert, verweist das Gesetz auf die Kriterien, die der EGMR in seiner Rechtsprechung entwickelt hat (Schwierigkeit des Verfahrens, Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter, Bedeutung der Angelegenheit).
Ob diese Regelung effektiv ist, ist fraglich. Zum einen möchte ein Beteiligter an einem Rechtsstreit ja keine Entschädigung, sondern ein zügiges Verfahren. Zum anderen sorgt der Umgang vieler Gerichte mit der Verzögerungsrüge dafür, dass diese letztlich nutzlos ist. Der bekannte Rechtsanwalt Detlef Burhoff hat kürzlich in seinem Blog auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt hingewiesen. Dabei ging es um eine Entscheidung über eine Maßnahme im Strafvollzug, für die das Gericht acht Monate und sieben Tage benötigt hatte. Das OLG sah das zwar als zu lang an, schrieb aber in der Begründung, dass die Verfahrensführung eines Gerichts wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüft werden könne. In der Regel sei ein Verfahren deshalb nicht unangemessen lang, wenn das Gericht innerhalb eines Jahres ab Entscheidungsreife eine Entscheidung fälle.
„Entscheidungsreife“ bedeutet, dass alle Voraussetzungen gegeben sind, um die Entscheidung zu treffen. Danach soll das Gericht dann ein Jahr Zeit haben, um tatsächlich zu entscheiden.
In Anbetracht solcher Ausführungen fragen sich viele, ob die Verzögerungsrüge nach § 198 GVG ihren Zweck erfüllt. Derzeit beschäftigt sie auch den EGMR. Er hat die BRD über den Fall Erwin Zacharias gegen BR Deutschland informiert. Wenn der EGMR nach einer ersten Prüfung einer Beschwerde der Ansicht ist, dass der Fall näherer Prüfung bedarf, informiert er den Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet. Er fasst die Fakten kurz zusammen und stellt den Verfahrensbeteiligten Fragen zu den rechtlichen Problemen, die er wichtig für die Entscheidung ansieht. In diesem Fall stellte er die Frage, ob die Verzögerungsrüge nach § 198 GVG ein effektives Rechtsmittel sei.