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The Business of Human Rights

Rechtsanwalt Holger Hembach

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Brief nach Banjul

Holger Hembach · 16. März 2017 ·

Gambia ist nicht als Brutstätte von Menschenrechten bekannt. Präsident Barrow, der im Dezember 2016 gewählt wurde, ist erst der dritte Präsident seit der Unabhängigkeit im Jahre 1965 . Sein Vorgänger Yahya Jammeh regierte mehr als 20 Jahre lang mit eiserner Faust. Er ließ Oppositionelle ins Gefängnis werfen, setzte Journalisten unter Druck und ging gewaltsam gegen Proteste vor. Nachdem er abgewählt wurde, sprach er von Wahlbetrug und erkannte die Ergebnisse erst an, als Nachbarländer unter dem Schirm der Afrikanischen Union mit einem militärischen Eingreifen drohten.

Trotz dieser fragwürdigen Historie spielt Gambia eine wichtige Rolle im afrikanischen Menschenrechtssystem: Seine Hauptstadt Banjul ist der Sitz der Afrikanischen Kommission für Menschen- und Völkerrechte.  Diese hat die Aufgabe, Menschenrechte in Afrika zu fördern und ihren Schutz zu gewährleisten. Ihre Rechtsgrundlage ist Artikel 30 der Afrikanischen Charter der Menschen- und Völkerrechte, die auch „Banjul Charter“ genannt wird.

Die Banjul Charter schreibt bestimmte Rechte und Freiheiten verbindlich fest. Alle Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union verpflichten sich, die Rechte, die die Charter verbrieft, zu respektieren und zu schützen. Zum einen sind das klassische liberale Freiheitsrechte, wie man sie etwa auch in der EMRK findet, beispielsweise das Recht auf Leben, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Folterverbot oder das Recht auf ein faires Verfahren.  Anders als die EMRK garantiert die Afrikanische Charter jedoch auch Rechte, die Völkern zustehen. Beispiele sind das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht zur Befreiung von Kolonialherrschaft und Unterdrückung oder das Recht auf den Gebrauch eigener Ressourcen.

Ein weiterer Unterschied zur EMR liegt darin, dass die Afrikanische Charter der Menschen- und Völkerrechte auch Pflichten des Individuums festlegt. So regelt sie etwa Pflichten gegenüber der Familie und Gesellschaft und anderen anerkannten Gemeinschaften.

Die Banjul Charter sieht vor, dass die Afrikanische Kommission für Menschen- und Völkerrechte die Einhaltung der Charter überwacht. Sie wird dabei aufgrund von Mitteilungen von Sachverhalten („Communications“) tätig. Sowohl Staaten als auch Individuen haben das Recht, die Kommission über mögliche Menschenrechtsverletzungen in Kenntnis zu setzen. Die Afrikanische Menschenrechtskommission prüft diese, wenn sie bestimmten formalen Anforderungen genügen. Dabei hört sie die Parteien an und kann auch eigene Ermittlungen anstellen.

Die Kommission kann dann eine Verletzung der Afrikanischen Charter der Menschen- und Völkerrechte feststellen und den verantwortlichen Staat auffordern,  bestimmte Maßnahmen zu treffen (beispielsweise die Zahlung von Schadensersatz, Gesetzesänderungen).

Als deutscher Anwalt hat man mit der Afrikanischen Menschenrechtskommission in der Regel nur wenig zu tun. Ich hatte jetzt die Gelegenheit, eine „Communication“ einzureichen. Sie betrifft den Tod von Desmond Nunugwo in Nigeria.

Herr Nunugwo war ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums von Nigeria. Am 9. Juni wurde er im Büro eines Rechtsanwaltes von Beamten der Economic and Financial Crimes Commission festgenommen. Die EFCC ist eine Behörde, die zur Bekämpfung von Korruption und bestimmter Wirtschaftsverbrechen zuständig ist.

Bis zu seiner Festnahme war Herr Nunugwo bei bester Gesundheit. Wenige Stunden später war er tot.

Die EFCC veröffentlichte eine Presserklärung. In dieser hieß es, Desmond Nunugwo habe eine Bekannte um 269.000 € betrogen. Diese habe sich an die EFCC gewandt, die ihn befragt habe. Während der Befragung habe er sich plötzlich unwohl gefühlt und sei in ein Krankenhaus gebracht worden, wo er verstorben sei.

Bis zum heutigen Tag hat keine Obduktion stattgefunden und die Todesursache ist nicht festgestellt.

Der Sachverhalt lässt wohl nicht zwingend den Schluss zu, dass Desmond Nunugwo in Haft gefoltert wurde oder umgebracht wurde. Es gibt aber Anlass zu der Frage, was genau geschehen ist und wie es zu dem plötzlichen Tod kommen konnte. Im internationalen Menschenrecht gilt der Grundsatz, dass in derartigen Fällen Staaten die Obliegenheit haben, eine plausible Erklärung für den Tod einer Person zu liefern, die im Polizeigewahrsam gestorben ist.  Es findet eine Art Beweislastumkehr statt. In Desmond Nunugwos Fall gibt es keine solche Erklärung.

Staaten sind auch verpflichtet, eine effektive Ermittlung durchzuführen (diest ist ein Fall einer sogenannten „positiven Verpflichtung“).  Dazu würde es in diesem Falle mindestens gehören, den Leichnam zu obduzieren, die Beamten zu identifizieren, die Desmond Nunugwo vernommen haben und sie als Zeugen zu vernehmen. Nichts davon ist geschehen.

Schließlich gilt die Unschuldsvermutung. Sie besagt auch, dass Behörden Verdächtige in ihren Verlautbarungen nicht so behandeln dürfen, als wäre diesen eine Straftat nachgewiesen worden. Eben dies hat die EFCC aber getan.Sie hat Desmond Nunugwo als Betrüger dargestellt, obwohl ihm keine Straftat nachgewiesen worden ist. Tatsächlich gab es noch nicht einmal eine Anklage.

Ein Einzelfall ist der plötzliche Tod von Desmond Nunugwo in Haft nicht. Amnesty International stellte in seinem Report 2016/2017 über Nigeria fest, dass Polizei und Ermittler routinemäßig auf Folter als Mittel der Befragung zurückgreifen.

Gute Gründe also, die Afrikanische Menschenrechtskommission mit dem Fall zu befassen. Ich bin gespannt.

 

Allgemein Afrikanische Charter der Menschen- und Völkerrechte, Afrikanische Kommission für Menschen- und Völkerrechte, Desmond Nunugwo

Rechtsanwalt Holger Hembach