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The Business of Human Rights

Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Verletzung von Art. 8 EMRK durch Aussetzung des Umgangsrechtes – Moog gegen Deutschland

Holger Hembach · 18. Oktober 2016 ·

Im Fall Moog gegen Deutschland hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erneut mit dem Umgangsrecht eines Vaters mit seinem Kind im Hinblick auf das Recht auf Familienleben nach Artikel 8 EMRK auseinandergesetzt (wie bereits im Fall  Buchleither gegen Deutschland).

Der Beschwerdeführer lebte von der Mutter des gemeinsamen Kindes getrennt. Die Mutter hatte das Sorgerecht. Die Eltern hatten lange über die Ausübung des Umgangsrechtes des Vaters gestritten. Schließlich setzte das Familiengericht das Umgangsrecht des Vaters für die Dauer von drei Jahren aus. Zu diesem Zeitpunkt lag noch kein Sachverständigengutachten darüber vor, ob eine solche Aussetzung im Interesse des Wohles des Kindes geboten sei.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, dass die Aussetzung des Umgangsrechts ohne vorherige Einholung eines Gutachtens gegen die EMRK verstieß. Auch hätten die deutschen Gerichte Artikel 8 verletzt, indem sie das Verfahren nicht mit der nötigen Sorgfalt und Beschleunigung durchgeführt hätten. Dagegen war nach Auffassung des Gerichtshofs die Aufhebung der Anordnung eines Zwangsmittels gegen die Mutter, die den Umgang nicht ermöglicht hatte, mit der EMRK vereinbar. Der Staat sei zwar grundsätzlich verpflichtet, gerichtliche Entscheidungen über den Umgang auch durchzusetzen. In diesem Falle hätten aber begründete Bedenken bestanden, ob dies mit dem Wohl des Kindes zu vereinbaren sei.

 

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde 1998 Vater eines Sohnes. Seit 1999 lebte er von der Mutter des Kindes getrennt. Die Mutter erhielt das Sorgerecht. Von Anfang an kam es zu Meinungsverschiedenheiten über das Sorgerecht und über das Umgangsrecht des Beschwerdeführers mit seinem Sohn. Das zuständige Familiengericht verhängte Sanktionen gegen die Mutter bzw. drohte mehrfach solche an, weil sie den Umgang des Beschwerdeführers mit seinem Sohn sabotierte.

Im Jahre 2005 beantragte die Mutter, das Umgangsrecht des Vaters auszusetzen. Das Familiengericht vernahm den Sohn des Beschwerdeführers, der erklärte, er wolle seinen Vater nicht mehr sehen. Der Kinderarzt des Sohnes erstattete eine schriftliche Zeugenaussage. In dieser bekundete er, der Sohn sei nach Treffen mit seinem Vater extrem aggressiv. Er benötige eine Psychotherapie, für die er aber zu jung sei.

Das Gericht entschied, dem Vater zwei Besuche wöchentlich unter Aufsicht zweier vom Gericht benannter Psychologen zu gewähren. Fünf Monate später informierten die Psychologen das Gericht, sie seien nicht in der Lage, die Treffen zu beaufsichtigen. Der Anwalt der Mutter habe sie informiert, dass die Mutter und das Kind aus medizinischen Gründen nicht mit ihnen sprechen würden. Im weiteren Verlauf des Verfahrens empfahl, es sei im Interesse des Kindes, wenn der Vater weiteren Kontakt mit seinem Sohn habe.

Das Familiengericht ordnete an, dass der Beschwerdeführer vorläufig sieben Stunden pro Monat Umgang mit seinem Sohn haben sollte. Es gab der Mutter auf, den Sohn auf den Kontakt vorzubereiten und davon Abstand zu nehmen, ihn zuungunsten seines Vaters zu beeinflussen. Es drohte der Mutter Zwangsmittel an, falls sie dem nicht nachkommen sollte.

Am ersten Tag, an dem der Umgang vorgesehen war, weigerte sich der Sohn, mit dem Vater mitzugehen. Das Jugendamt sprach mit verschiedenen Beteiligten. Es teilte mit, nach Auffassung des Kinderarztes sei eine Familientherapie zur Vorbereitung des Umgangs dringend notwendig; die Lehrerin des Kindes sei der Auffassung, der Junge brauche eine Pause. Der Sohn selbst könne sich einen Umgang vorstellen, wenn die Eltern aufhörten, zu streiten und wenn sein Vater ihn nicht ständig mit zum Jugendamt nehme. Das Jugendamt wies darauf hin, aus seiner Sicht sei dringend die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich.

Das Gericht erlegte der Mutter ein Zwangsgeld von 3.000 € auf, weil sie der gerichtlichen Anordnung zur Vorbereitung des Kindes auf den Umgang mit dem Vater nicht nachgekommen sei.

Im Parallelverfahren bezüglich des Umgangsrechtes gab der Sohn an, er wolle nicht mit seinem Vater leben. Er sehe den Kinderarzt nur selten.

Die Beschwerdeführerin legte Rechtsmittel gegen das Zwangsgeld ein. Das Oberlandesgericht Köln hob diese daraufhin auf. Es führte aus, es sei fraglich, ob die Mutter in der Lage sei, den Sohn für den Umgang mit seinem Vater vorzubereiten. Denn ausweislich einer psychologischen Stellungnahme leide sie unter einem posttraumatischen Stresssyndrom.  Unter diesen Umständen werde erzwungener Umgang mit dem Vater den Sohn dauerhaft traumatisieren. Der Sohn habe geäußert, er wolle seinen Vater nicht sehen. Es sei unvernünftig, gegen den erklärten Willen des Kindes den Umgang zu erzwingen. Es müsse ein Sachverständigengutachten eingeholte werden.

Das Familiengericht beauftragte eine Sachverständige mit der Erstattung eines Gutachtens. Im Dezember 2008 führte es eine mündliche Verhandlung durch. Zu diesem Zeitpunkt lag das Sachverständigengutachten, das das Gericht in Auftrag gegeben hatte, noch nicht vor.

Das Gericht entschied es, das Umgangsrecht des Beschwerdeführers mit seinem Sohn für drei Jahre auszusetzen. Dies sei im Interesse des Kindes notwendig. Es drohe eine weitere Traumatisierung durch erzwungenen Umgang mit dem Vater.

Der Beschwerdeführer legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Familiengerichts ein, den Umgang auszusetzen.

Kurz darauf legte die Sachverständige, die das Familiengericht beauftragt hatte, ein vorläufiges Gutachten vor. Sie führte darin unter anderem aus, der Umgang mit dem Beschwerdeführer gefährde das Kindeswohl nicht.

Das Oberlandesgericht Köln bestätigte die Entscheidung, das Umgangsrecht für drei Jahre auszusetzen. Der Sohn habe im Laufe des Verfahrens bei mehrfach geäußert, den Vater nicht mehr sehen zu wollen. Dies entspreche aus seiner Aussage gegenüber seinem Kinderarzt. Dem Kind müsse eine Ruheperiode gegönnt werden, nach deren Ablauf es selbst entscheiden könne, ob es den Beschwerdeführer weiter sehen wolle.

Der Beschwerdeführer legte Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht nahm diese ohne Angabe von Gründen nicht zur Entscheidung an.

 

Rechtliche Beurteilung:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte prüfte den Sachverhalt im Hinblick auf Artikel 8 EMRK, der das Recht auf Familienleben schützt.

Dabei konzentrierte sich der Gerichtshof auf drei Aspekte:

·         Den Umstand, dass das Oberlandesgericht das Ordnungsgeld gegen die Mutter wegen der fehlenden Ermöglichung des Umgangs aufgehoben hatte

·         Die Aussetzung des Umgangsrechts

·         Die Durchführung des Verfahrens betreffend das Umgangsrecht

 

Aufhebung des Zwangsmittels

Hinsichtlich der Aufhebung des Zwangsmittels führte der EGMR aus, dass Artikel 8 EMRK Staaten grundsätzlich verpflichte, dafür Sorge zu tragen, dass familiäre Bindungen aufrecht erhalten werden könnten. Die Pflichten des Staates beschränkten sich dabei nicht darauf, auf Eingriffe zu verzichten. Vielmehr ergäben sich aus Artikel 8 EMRK auch positive Verpflichtungen, also Pflichten, bestimmte Maßnahmen zu treffen, um den effektiven Genuss des Rechtes auf Familienleben zu gewährleisten. Bezüglich der Anordnung des Familiengerichts, dass die Mutter den Umgang vorbereiten müsse, sei zu prüfen, ob die Gerichte alle vernünftigen Schritte unternommen hätten, um einen Umgang des Vaters mit dem Sohn zu gewährleisten.

Der EGMR wies darauf hin, dass nach den Informationen des Oberlandesgerichtes die Mutter psychische Probleme gehabt hätte. Hierzu hätten Atteste vorgelegen. Das Oberlandesgericht hätte seine Entscheidung im Interesse des Kindes getroffen. Im Hinblick auf die möglichen Risiken für das Kind und darauf, dass die Entscheidung des Gerichtes keine endgültige Regelung des Sachverhaltes bedeutet hätte, müsste die Entscheidung als vertretbar angesehen werden. Der Gerichtshof stellte daher keine Verletzung von Artikel 8 EMRK fest.

 

Aussetzung des Umgangsrechts für drei Jahre

Der EGMR stellte fest, dass die Aussetzung des Umgangsrechtes für drei Jahre einen Eingriff in das Recht auf Familienleben darstelle. Die Frage sei daher, ob dieser Eingriff nach Artikel 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt wäre. Hierfür komme es darauf an, ob die Gerichte relevante und hinreichende Gründe für die Entscheidung angeführt hätten.

Die Gerichte hätten die Aussetzung des Umgangsrechtes im Hinblick auf das Wohl des Kindes angeordnet. Sie wären davon ausgegangen, dass die Ausübung des Umgangsrechtes das Kind wegen der ständigen Konflikte zwischen den Eltern traumatisieren könnte. Hierin lägen relevante Gründe.

Die Gründe seien aber nicht hinreichend gewesen. Der Beschwerdeführer hätte frühzeitig darauf hingewiesen, dass es keine Beweise für eine Gefährdung des Kindeswohls durch den Umgang gäbe. Das Familiengericht hätte zwar ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben; es hätte aber die Entscheidung getroffen, bevor dieses vorlag. Ein Sachverständigengutachten sei aber unerlässlich gewesen, gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen Aussagen verschiedener Beteiligter (Kindergärtnerin, Kinderarzt) zu der Frage, ob ein weiterer Umgang mit dem Vater im Interesse des Kindes liege.

Da die Gerichte die Entscheidung ohne diese Informationen getroffen hatten, stellte der Gerichtshof eine Verletzung von Artikel 8 EMRK fest.

 

Durchführung des Verfahrens

Hinsichtlich der Durchführung des Verfahrens wies der EGMR darauf hin, dass sich aus Artikel 8 EMRK für die Staaten eine Verpflichtung ergebe, Verfahren über Umgangsrecht und Sorgerecht mit außergewöhnlicher Sorgfalt zu führen. Eine ineffektive oder verzögerte Durchführung derartiger Verfahren könne daher eine Verletzung von Artikel 8 EMRK sein

Die Mutter habe im Juni 2005 beantragt, das Umgangsrecht des Beschwerdeführers aufzuheben. Das Verfahren sei im August 2009 beendet worden, als das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht zur Entscheidung angenommen habe. In der Zwischenzeit sei zwei Mal ein zeitweiliges Umgangsrecht angeordnet worden, dass jedoch nicht vollstreckt werden konnte. Mehrere Verzögerungen in dem Verfahren gingen zu Lasten der Gerichte. Da das Verfahren einen erheblichen Einfluss auf das Familienleben des Beschwerdeführers gehabt hätte, stellte dies eine Verletzung von Artikel 8 EMRK dar.

 

Moog gegen Deutschland, Urteil vom 06.10.2016, Az.: 23280/08

 

Allgemein Artikel 8 EMRK, Recht auf Familienleben, Umgangsrecht

Rechtsanwalt Holger Hembach