Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hat einen weitreichenden Einfluss auf das deutsche Recht. Ganz besonders gilt das im Familienrecht. Artikel 8 EMRK, der das Recht auf Familienleben schützt, bildet eine Richtschnur bei vielen familiengerichtlichen Entscheidungen – und immer wieder erreichen Beschwerden den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in denen sich Betroffene darüber beklagen, die Entscheidung eines Familiengerichts verletze die EMRK. In einem solchen Fall hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nun klargestellt, dass sich aus dem Recht auf Familienleben nach Artikel 8 EMRK nicht unter allen Umständen ein Umgangsrecht eines Vaters mit seinem Kind herleiten lässt.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer hatte im Jahr 2003 mit seiner damaligen Lebensgefährtin eine Tochter bekommen. Kurze Zeit nach der Geburt hatten sie sich getrennt. Bald begannen erhebliche Auseinandersetzungen über das Umgangsrecht. Alle Versuche scheiterten, regelmäßige Kontakte zwischen Vater und Tochter zu organisieren scheiterten letztlich an den Konflikten zwischen den Eltern. Das Familiengericht beschloss daher, das Umgangsrecht zunächst für rund zwei Jahre ruhen zu lassen.
Nach Ablauf der zwei Jahre beantragte der Vater, ihm wieder Umgang zu gewähren. Das Familiengericht hörte einen Sachverständigen an und beschloss, dem Vater alle zwei Wochen zwei Stunden Umgang zu gewähren. Die Mutter legte Rechtsmittel ein. Das Oberlandesgericht hörte den Sachverständigen erneut an und stellte ergänzende Fragen. Der Sachverständige war der Auffassung, im Hinblick auf die Entwicklungen nach der erstinstanzlichen Entscheidung sei das Interesse der Tochter am besten gewahrt, wenn dem Vater kein Umgang gewährt werde. Das Oberlandesgericht beschloss, dem Vater auf unbegrenzte Zeit keinen Umgang zu gewähren.
Rechtslage
Der Vater legte Menschenrechtsbeschwerde ein. Er machte geltend, die dauerhafte Verweigerung des Umgangs mit seiner Tochter verstoße gegen das Recht auf Familienleben nach Artikel 8 EMRK.
Es war unbestritten, dass die Verweigerung des Umgangs ein Eingriff in das Recht auf Familienleben war. Der Gerichtshof prüft bei derartigen Eingriffen, ob die nationalen Gerichte die Abwägung zwischen den Interessen der Eltern und denen des Kindes richtig vorgenommen haben. Vorrang gebührt dabei den Interessen das Kindes.
Dabei gesteht der EGMR den nationalen Gerichten einen bestimmten Spielraum zu; er geht davon aus, dass die nationalen Gerichte „näher am Sachverhalt“ sind und sich mit den Gegebenheiten in einem Land besser auskennen. Der EGMR prüft daher nur, ob die nationalen Gerichte hinreichend gute Argumente für ihre Entscheidung angeführt haben.
Der EGMR war der Auffassung, dass das Oberlandesgericht seine Entscheidung ausführlich begründet hatte. Es hatte sich dabei ausführlich mit der Auffassung des Sachverständigen auseinandergesetzt.
Besondere Aufmerksamkeit schenkte der Gerichtshof dem Umstand, dass das Oberlandesgericht die Verweigerung des Umgangsrechtes nicht befristet hatte. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen Gerichte nämlich bedenken, dass die Bindungen zwischen Eltern und ihren Kindern erhalten bleiben sollten. In diesem Punkt kritisierte der EGMR die Entscheidung des Oberlandesgerichtes. Das Oberlandesgericht hatte nämlich nicht ausgeführt, warum eine unbefristete Verweigerung des Umgangs erforderlich sei.
Dieser Mange führte aus Sicht des EGMR aber nicht zu einem Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Nach deutschem Recht seien Gerichte ohnehin verpflichtet, die Situation regelmäßig zu prüfen (allerdings habe der zuständige Richter dies offenbar nicht getan). Jedenfalls habe aber der Vater jederzeit das Recht, eine Änderung der Umgangsregeln bzw. eine erneute Gewährung des Umgangsrechts zu beantragen. Der Gerichtshof gehe davon aus, dass die deutschen Gerichte in einem solchen Fall die Situation erneute ernsthaft prüfen würden. Daraus ergebe sich eine gewisse zeitliche Beschränkung der Entscheidung, das Umgangsrecht zu verweigern. Dies genüge den Anforderungen von Artikel 8 EMRK, so dass keine Verletzung der Konvention vorliege.
EGMR, Buchleither g. Deutschland (Beschwerde Nr. 20106/13), Urteil vom 28.04.2016