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Rechtsanwalt Holger Hembach

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Böhmermann und die Äußerungsfreiheit nach Artikel 10 EMRK

Holger Hembach · 20. April 2016 ·

Der Fall Böhmermann hat politische und juristische Aspekte. Politisch mag man darüber streiten, ob es klug war, dass die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt hat – und welche Motive dabei eine Rolle spielen. Aus juristischer Sicht haben sich bereits viele Autoren zu der Frage geäußert, ob Böhmermanns Gedicht strafrechtlich eine Beleidigung bzw. eine Beleidigung eines Vertreters eines ausländischen Staates ist. Dabei spielt die Frage eine wichtige Rolle, ob dieses Gedicht noch von der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit geschützt wird.

Ein Aspekt, der in der Diskussion bisher wenig beachtet wird, ist, dass die Meinungsfreiheit nicht nur im Grundgesetz verankert ist, sondern auch in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Dieser lässt – wie auch das deutsche Grundgesetz – Meinungsäußerungen oder Tatsachenbehauptungen nicht unbeschränkt zu. Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind vielmehr erlaubt, wenn sie eine gesetzliche Grundlage haben, einem legitimen Ziel dienen und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sind. Im Zusammenhang mit dem letztgenannten Kriterium nimm der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Interessenabwägung vor. Er fragt, ob es ein dringendes soziales Bedürfnis für die Beschränkung der Meinungsfreiheit in einem bestimmten Fall gibt.

Grundsätzlich unterscheidet der Gerichtshof dabei danach, welches Thema eine bestimmte Äußerung betrifft oder in welche Sphäre sie fällt. Beispielsweise genießen politische Aussagen weitergehenden Schutz als Äußerungen, die in den Bereich Klatsch und Tratsch fallen. Denn ein wesentliches Element der Äußerungsfreiheit ist es ja gerade, in einer Demokratie zur Meinungsvielfalt und damit zur politischen Willensbildung beizutragen. Je stärker eine Aussage das tut, desto eher ist sie schutzwürdig. Für Aussagen, die dem politischen Bereich zuzurechnen sind, sind nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Einschränkungen kaum möglich. Natürlich stellt sich hier die Frage, ob Böhmermanns Gedicht eine politische Äußerung darstellt. Letztlich besteht es ja nur aus einer Kette von Abwertungen und negativen Urteilen. Hier ist aber der Zusammenhang dieser Aussagen zu berücksichtigen. Böhmermann stellte den Bezug zu der Reaktion des türkischen Präsidenten auf die Satire her, die der NDR veröffentlich hatte. Es ging ihm also letztlich darum, Beschränkungen der Äußerungsfreiheit zu kritisieren und sich für Meinungsfreiheit einzusetzen. Deshalb gehörte seine Aussage in den Bereich des Politischen.

Wenn sich eine kritische Äußerung auf eine Person bezieht, dann ist ein weiterer Faktor bei der Interessenabwägung, wer die betreffende Person ist bzw. welche Funktion sie hat. Politiker genießen weniger Schutz gegen kritische oder gar abwertende Äußerungen als Privatpersonen. Denn sie haben sich um ein Amt in der öffentlichen Sphäre beworben und sich damit bewusst öffentlicher Diskussion und Überprüfung ausgesetzt. Deshalb müssen sie sich auch harsche Kritik gefallen lassen.

Im deutschen Strafrecht ist die Beleidigung eines Vertreters eines ausländischen Staates mit einer schwereren Strafe bedroht als die „normale“ Beleidigung. Staatsoberhäupter anderer Staaten sind also stärker geschützt als Privatpersonen oder einheimische Politiker. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine solche Privilegierung ausländischer Staatsoberhäupter bei Beleidigungsdelikten bereits 2002 im Fall Colombani gegen Frankreich kritisiert (der Fall betraf einen Presseartikel über einen Report der EU, der Personen aus dem Umfeld des marokkanischen Königs der Beteiligung am Drogenhandel bezichtigte). Der Gerichtshof führte aus, dass es nicht im Einklang mit der modernen Praxis und politischen Konzepten stehe, dem Oberhaupt eines fremden Staates im Bezug auf Äußerungsdelikte eine privilegierte Position einzuräumen. Auch wenn ein Staat ein offensichtliches Interesse daran habe, vertrauensvolle Beziehungen mit den Führern anderer Staaten zu haben, gehe eine derartige Privilegierung über das hinaus, was hierzu nötig sei.

In diesem Urteil ging es – anders als im Fall Böhmermann – um eine Tatsachenbehauptung. Die Aussage des EGMR zur Privilegierung von Staatsoberhäuptern hat aber aus meiner Sicht allgemeine Geltung.

Auch mit Beleidigungen von Staatsoberhäuptern hat sich der Gerichtshof bereits auseinandergesetzt. Im Fall Eon gegen Frankreich war ein Mann wegen „Beleidigung des Präsidenten“ zu einer Geldstrafe von 30 € verurteilt worden, weil er dem (damaligen) französischen Präsidenten zugerufen hatte „Casse toi pov’con“ (ungefähr: Verschwinde, Du armseliger Idiot). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah darin eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Nach Auffassung des Gerichtshofs war die Aussage eine satirische Meinungsäußerung in einem politischen Kontext, da sie auf eine frühere Aussage des französischen Präsidenten gegenüber einem Bürger anspielte, die in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden war.

 

Allgemein Artikel 10 EMRK, Äusserungsfreiheit, Böhmermann

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