Im Fall Dubska and Krejzova g. Tschechische Republik hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Rechtsvorschriften zur Hausgeburt im Lichte von Artikel 8 EMRK (Recht auf Privatleben) auseinandergesetzt. Er stellte fest, dass gesetzliche Regelungen die Geburt betreffend in den Anwendungsbereich von Artikel 8 EMRK fielen. Staaten hätten in diesem Bereich einen weiten Beurteilungsspielraum. Im Hinblick auf diesen Beurteilungsspielraum fand der EGMR, dass die in Tschechien getroffene Regelung nicht das Rechts auf Privatleben verletze.
Sachverhalt:
Der Gerichtshof hatte zwei Beschwerden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Die erste Beschwerdeführerin war eine Mutter von zwei Kindern. Sie beschwerte sich im Kern darüber, dass die rechtlichen Regelungen in der Tschechischen Republik es unmöglich machten, Kinder zu Hause zur Welt zu bringen.
Die Beschwerdeführerin hatte ihr erstes Kind ohne Komplikationen in einem Krankenhaus zur Welt gebracht. Dort war ihr zu medizinischen Massnahmen geraten worden, die sie für unnötig hielt; ausserdem hatte das Personal des Krankenhauses versucht, sie zu überzeugen, länger im Krankenhaus zu bleiben als sie wollte.
Sie beschloss deshalb, ihr zweites Kind mithilfe einer Hebamme zu Hause zur Welt zu bringen. Allerdings konnten sie keine Hebamme finden, die bereit gewesen wäre, bei einer Hausgeburt zu assistieren. Sie erkundigte sich bei ihrer Krankenversicherung nach entsprechenden Hebammen. Die Versicherung teilte ihr mit, dass für Hausgeburten keine Versicherungsschutz bestehe und dass die Versicherung daher auch keine Hebammen hierfür unter Vertrag habe.
Die Beschwerdeführerin brachte ihr Kind zu Hause ohne Unterstützung durch medizinisch geschulte Personen zur Welt.
Die zweite Beschwerdeführerin hatte bereits zwei Kinder zu Hause zur Welt gebracht. In diesen Fällen hatten die Hebammen ohne staatliche Autorisierung gearbeitet. Als die Beschwerdeführerin mit ihrem dritten Kind schwanger war, entschied sie, wieder zu Hause zu gebären. Sie fand jedoch keine Hebamme, die bereit gewesen wäre, sie dabei zu unterstützen, weil Personen, die ohne staatliche Genehmigung medizinische Hilfe leisten, hohe Geldbussen drohen.
In der Tschechischen Republik ist es Hebammen nicht ausdrücklich verboten, an Hausgeburten teilzunehmen. Personen, die bei Geburten medizinischen Unterstützung leisten benötigen jedoch für ihre Tätigkeit eine Genehmigung. Um diese Genehmigung zu bekommen, müssen sie über bestimmte medizinische Geräte verfügen, die bei einer Hausgeburt praktisch nicht vorgehalten werden können.
Nur eine kleine Zahl von Frauen gebären Kinder zu Hause. Die Ärztekammer der Tschechischen Republik sieht Hausgeburten als riskant an und hält sie für unvereinbar mit medizinischen Standards. Empfehlungen des Gesundheitsministeriums sehen vor, dass Frauen und ihre Kinder in der Regel frühestens 72 Stunden nach der Geburt aus dem Krankenhaus entlassen werden sollen. Nach Statistiken hat Tschechien eine der geringsten Raten von Säuglingssterblichkeit in Europa.
Rechtliche Beurteilung
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte prüfte das tschechische Recht bezüglich Hausgeburten im Hinblick auf das Recht auf Respekt vor dem Privatleben nach Artikel 8 EMRK.
Er bezog sich auf seine langjährige Rechtsprechung, derzufolge der Begriff „Privatleben“ weit ist und sich einer genauen Definition entzieht. Ein Kind zur Welt zu bringen sei ein sehr intimer Vorgang, der deswegen in den Bereich des geschützten Privatlebens einer Frau falle. Gesetzliche Regelungen, die die Geburt beträfen fielen daher in den Anwendungsbereich von Artikel 8 EMRK. Wenn die gesetzlichen Regelungen es für eine Frau schwer oder beinahe unmöglich machten, ihr Kind zu Hause zur Welt zu bringen, sei dies ein Eingriff in das Recht auf Privatleben, der einer Rechtfertigung bedürfe.
Der Gerichtshof prüfte, ob eine solche Rechtfertigung gegeben sei. Er stellte fest, dass es eine gesetzliche Grundlage für den Eingriff gebe und akzeptierte, dass die Regelung in der Tschechischen Republik einem legitimen Ziel – nämlich dem Schutz von Neugeborenen diene.
Der EGMR wandte sich dann der Frage zu, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sei. Er führte aus, dass Entscheidungen über die medizinische Betreuung während der Geburt auf der Grundlage zahlreicher wissenschaftlicher Daten getroffen werden müssten und die Ansichten zahlreicher Experten zu berücksichtigen sein. Für diese Aufgabe sein grundsätzlich der nationale Gesetzgeber besser geeignet als ein internationale Gerichtshof, so dass Staaten in diesem Bereich einen weiten Beurteilungsspielraum hätten. Der Staat hätte verschiedene Interessen abzuwägen. Einerseits sei das Interesse von Frauen zu berücksichtigen, Kinder in der von ihnen gewünschten Weise zur Welt zu bringen; anderseits müssten Massnahmen getroffen werden, um die Gesundheit der Kinder zu schützen. Im Hinblick auf den weiten Beurteilungsspielraum der Staaten bei der Abwägung und Einschätzung der verschiedenen Interessen und Risiken zusteht, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die tschechische Regelung nicht gegen Artikel 8 EMRK verstiess.
Dubska und Krejzova gegen Belgien, Urteil vom 11.12.2014, Beschwerden Nr. 28859/12 und 28473/12