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Rechtsanwalt Holger Hembach

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Anforderungen an die Anordnung von Untersuchungshaft – Buzadji gegen Moldau

Holger Hembach · 2. Januar 2015 ·

Im Fall Buzadji. Moldau hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Rechtsprechung zur Anordnung von Untersuchungshaft unterstrichen. Dabei hat er erneut betont, dass zur Begründung einer solchen Anordnung formelhafte Formulierungen oder die blosse Wiedergabe des Wortlauts des Gesetzes nicht ausreichen.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer war der ehemalige Direktor eines staatseigenen Betriebes in Moldau. In einem zivilrechtlichen Verfahren erkannte er im Namen dieses Betriebes eine hohe Forderung an. In der Folgezeit wurden  zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet wegen des Verdachts, gemeinsam mit seinen Söhnens Mittel des Unternehmens veruntreut zu haben. Auch gegen die Söhne des Beschwerdeführers wurden mehrere Verfahren eingeleitet. Im Laufe der Ermittlungsverfahren wurde der Beschwerdeführer mehrfach zu Vernehmungen vorgeladen. Er leistete allen Ladungen folge.

Alle Ermittlungsverfahren wurden miteinander verbunden und im Mai 2007 wurde der Beschwerdeführer wegen Betruges angeklagt. Am Tag der Anklageerhebung erliess das zuständige Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl und ordnete Untersuchunghaft für den Zeitraum von 15 Tagen an. Zur Begründung führte es aus, dass der Beschwerdeführer eines aussergewöhnlich schweren Verbrechens beschuldigt werde. Ausserdem verwies es auf die Komplexität des Falles und die Schwere der Tag. Es führte auch aus, dass es ernsthafte Gründe für die Annahme gebe, dass der Beschwerdeführer sich mit anderen Beschuldigten – insbesondere seinen Söhnen – absprechen werde, um eine gemeinsame Verteidigungslinie zu finden.

Der Beschwerdeführer legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel ein. Er führte aus, dass sich aus der Akte keine Hinweise darauf ergäben, dass Fluchtgefahr bestehe und verwies darauf, dass er eine Arbeitsstelle, einen festen Wohnsitz und familiäre Bindungen in Moldau habe. Er legte auch medizinische Atteste vor, aus denen sich ergab, dass er medizinische Hilfe benötigte, die er in Untersuchungshaft nicht bekommen konnte.

Das zuständige Gericht wies das Rechtsmittel zurück. In der Begründung wiederholte es im Wesentlichen die Gründe, die das erstinstanzliche Gericht angeführt hatte.

Als der Zeitraum, für den das Gericht ursprünglich Untersuchungshaft angeordnet hatte, verstrichen war, verlängerte das zuständige Gericht die Untersuchungshaft. Es führte aus, dass es wegen der „Schwere und Komplexität des Falles und der Notwendigkeit, die öffentliche Ordnung zu schützen verfrüht sei, die Untersuchungshaft durch ein anderes Mittel wie beispielsweise Hausarrest zu ersetzen.

Nachdem der Zeitraum, um den die Untersuchungshaft verlängert worden war, erneut verstrich, wurde die Haft wiederum verlängert. Das zuständige Gericht wiederholte im Wesentlichen die gleichen Gründe wie die vorhergehenden Entscheidungen. Die Entscheidung wurde im Rechtsmittelverfahren bestätigt.

 

Im Juni 2007 gab das zuständige Gericht einem Antrag des Beschwerdeführers statt und ordnete Hausarrest anstelle der Untersuchungshaft an. Die Staatsanwaltschaft legte Rechtsmittel ein und das nächsthöhere Gericht hob die Entscheidung auf und ordnete wieder Untersuchungshaft an.

Nach einer weiteren Verlängerung der Untersuchungshaft ordnete das Gericht schliesslich Hausarrest anstelle der Untersuchungshaft an. Insgesamt hatte der Beschwerdeführer zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft und acht Monate unter Hausarrest verbracht.

Rechtliche Beurteilung:

Der EGMR prüfte den Fall im Hinblick auf Artikel 5 Absatz 3 der EMRK, der lautet

 

1. Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden

(…)

(c) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;

3. Jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, muss unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigten Person vorgeführt werden; sie hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens. Die Entlassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden

 

Der Gerichtshof unterstrich, dass eine Person, der eine Straftat zur Last gelegt wird, grundsätzlich vor dem Verfahren auf freien Fuss gesetzt werden muss – es sei denn, der Staat kann auf hinreichende Gründe verweisen, die eine Untersuchungshaft rechtfertigen. Bei der Anordnung von Untersuchungshaft sei das Gericht zwar nicht verpflichtet, sich mit jedem einzelnen Argument auseinanderzusetzen, dass der Beschuldigte vortrage, um für seine Freilassung zu streiten. Es könne jedoch keine Tatsachen ausser acht lassen oder als irrelevant behandeln, die für die Frage der Untersuchungshaft von Bedeutung sein könnten. Das zuständige Gericht könne sich nicht auf die Angabe genereller und abstrakter Gründe zur Rechtfertigung der Untersuchungshaft beschränken.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte führte aus, dass die Gerichte in Moldau sich mit keinem der Argumente auseinandergesetzt hätten, die der Beschwerdefuehrer vorgetragen habe. Sie hätten den Wortlaut des Gesetzes wiederholt, ohne ihn auf die konkreten Umstände des Einzelfalles anzuwenden; die Entscheidungen seien nicht auf eine Analyse der konkreten Fakten in der Akte gestützt worden, sondern vielmehr auf allgemeine und stereotypische Überlegungen. Aus diesen Gründen entschied der Gerichtshof, dass Artikel 5 EMRK verletzt worden sei.

Buzadji gegen Republik Moldau, Urteil vom 16.12.2004, Beschwerde Nr. 23755/07

 

Allgemein Artikel 5 EMRK, Recht auf Freiheit, Untersuchungshaft

Rechtsanwalt Holger Hembach