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Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Unzulässige Beschränkungen der Versammlungsfreiheit (Artikel 11 EMRK) – Yilmaz Yildiz gegen die Türkei

Holger Hembach · 16. Oktober 2014 ·

Im Falle Yilmaz Yildiz gegen die Türkei hat sich der EGMR erneut mit Beschränkungen der Versammlungsfreiheit in der Türkei auseinandergesetzt. Der Fall warf darüber hinaus eine Frage der Zulässigkeit von Beschwerden zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf.

Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer waren zwei Ärzte und ein führendes Mitglied einer Gewerkschaft von Angestellten, die im Gesundheitssektor tätig waren.

In der Türkei war ein Gesetz in Kraft getreten, demzufolge Krankenhäuser dem Gesundheitsministerium unterstellt wurden. Die Beschwerdeführer fürchteten, dass die geänderte Zuständigkeit zu Problemen in der Versorgung von Patienten führen könnten. Sie hielten eine Versammlung vor dem Krankenhaus ab und verlasen eine Presseerklärung, in der sie vor den Folgen des Gesetzes warnten. Polizeibeamten wiesen die Teilnehmer der Versammlung darauf hin, dass die Veranstaltung rechtswidrig sei und forderten sie auf, die Versammlung aufzulösen. Drei Wochen später trafen sich die Beschwerdeführer und rund 30 weitere Personen erneut vor dem örtlichen Krankenhaus und verlasen eine Presseerklärung. Auch in diesem Falle wies die Polizei sie darauf hin, dass die Versammlung illegal sei und forderte sie auf, die Versammlung aufzulösen. Dabei beriefen sie sich auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
Nach türkischem Recht war es eine Ordnungswidrigkeit, sich Anordnungen zu widersetzen, die zum Schutze der öffentlichen Sicherheit ergangen waren. Gouverneure waren berechtigt, Presseerklärungen und Demonstrationen in unmittelbarer Nähe wichtiger öffentlicher Einrichtungen zu verbieten. Einige Monate vor den Versammlungen hatte der zuständige Gouverneur von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und das Abhalten von Demonstrationen sowie das Verlesen von Presseerklärungen im Umkreis von 100 m von Krankenhäusern verboten.

Die Beschwerdeführer wurden angeklagt und zu Geldbussen von rund 62 Euro verurteilt. Sie legten eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein, die sie auf eine Verletzung ihres Rechtes auf Versammlungsfreiheit (Artikel 11 EMRK) stützten.

Rechtliche Beurteilung

Der Fall warf zunächst eine Frage der Zulässigkeit auf. Die Europäische Menschenrechtskonvention sieht vor, dass Beschwerden zurückgewiesen werden, wenn der Beschwerdeführer keinen erheblichen Nachteil erlitten hat. Die entsprechende Bestimmung wurde 2010 eingeführt, um zu gewährleisten, dass der Gerichtshof sich auf Falle konzentrieren kann, die für die Betroffenen oder für den Schutz der Menschenrechte in Europa bedeutsam sind. Entsprechend diesem Zweck wird jedoch auch bei geringen Nachteilen dann zugelassen, wenn dies für den Schutz der Konventionsrechte erforderlich ist.

Die türkische Regierung machte geltend, die Beschwerdeführer seien nur zu geringfügigen Geldbussen verurteilt worden und hätten daher keinen erheblichen Nachteil erlitten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies dieses Argument zurück. Er führte aus, dass der Fall prinzipielle Fragen der Versammlungsfreiheit aufwerfe und für die Frage der Zulässigkeit von Beschränkungen der Versammlungsfreiheit von Bedeutung sei.

In der Sache stellte der Gerichtshof zunächst fest, dass die Geldbussen geeignet seien, andere von der Teilnahme an Versammlungen abzuhalten. Sie stellten daher einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar.

Der EGMR wandte sich der Frage nach der hinreichenden gesetzlichen Grundlage zu. Er referiert kurz die allgemeinen Anforderungen an Gesetze, die Eingriffe in Konventionsrechte legitimieren (öffentliche Zugänglichkeit, hinreichende Klarheit, Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen wie Schutz gegen Willkür); letztlich liess er aber die Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt waren, offen, weil sich die Verletzung der Konvention aus einem anderen Punkt ergab: Eingriffe in das Recht auf Versammlungsfreiheit müssen „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein“. Das heisst, dass das Interesse an der Versammlung mit möglicherweise entgegenstehende Interessen abgewogen werden muss.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte führte aus, dass die Versammlungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft von grundlegender Bedeutung sei. Allerdings seien auch Beschränkungen möglich, beispielsweise um die Interessen anderer zu schützen. Dabei sei es grundsätzlich auch zulässig, die Teilnahme an verbotenen Versammlungen zu sanktionieren. Im vorliegenden Fall sei aber zu bedenken, dass die Demonstration friedlich gewesen sei und es Patienten jederzeit möglich gewesen sei, das Krankenhaus zu betreten. Das Gebot der Verhältnismässigkeit verlange, dass die Teilnahme an einer friedlichen Demonstration keine strafrechtlichen Folgen nach sich ziehen sollte. Es sei auch nicht erkennbar, dass die nationalen Gericht eine Prüfung der Verhältnismässigkeit der Sanktion im Lichte der Versammlungsfreiheit vorgenommen hätten. Daher sei die Verhängung einer Geldbusse nicht mit Artikel 11 EMRK vereinbar.

Yilmaz Yildiz gegen Türkei, Urteil vom 14.10.2014, Beschwerde Nr. 4524/06

Allgemein Artikel 11 EMRK, Versammlungsfreiheit

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