• Zur Hauptnavigation springen
  • Skip to main content
The Business of Human Rights

Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

  • Beschwerden beim EGMR
  • Rechtsanwalt
  • EMRK
    • Artikel 8 EMRK
    • Artikel 10 EMRK
    • Recht auf Eigentum nach Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK
    • Margin of appreciation (“Einschätzungsspielraum”)
    • Was unterscheidet die EMRK von der EU-Grundrechtecharta?
    • Was ist die EU Grundrechte-Charta?
  • Kosten
  • Blog
  • Kontakt
  • Show Search
Hide Search

Richterliche Kontrolle von Beschlagnahmen – Prezhdarovi g. Bulgarien

Holger Hembach · 12. Oktober 2014 ·

Im Fall Prezhdarovi gegen Bulgarien hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit der Rechtmässigkeit einer Beschlagnahme auseinandergesetzt. Er hat dabei die Bedeutung einer effektiven gerichtlichen Kontrolle einer solchen Massnahme betont.

 

Sachverhalt

Die Beschwerdeführer betrieben einen Computerclub, in dem Kunden gegen Entgelt Computer nutzen und Computerspiele spielen konnten. Die Antragsteller schlossen zunächst einen Lizenzvertrag, der sie zur kommerziellen Nutzung der Spiele berechtigte. Als dieser Vertrag auslief, verlängerten sie ihn nicht.

Nach Ende der Laufzeit des Lizenzvertrages erstattete ein Mitarbeiter eines Unternehmens, das Lizenzen für Computerspiele vertrieb, Strafanzeige gegen die Beschwerdeführer. In der Anzeige behauptete er, dass die Beschwerdeführer Computerspiele und Software illegal nutzten bzw. ihren Kunden zur Verfügung stellten.

Die Staatsanwaltschaft beauftragte Polizeibeamte, in den Geschäftsräumen der Beschwerdeführer zu ermitteln. Sie sollten sich vergewissern, ob tatsächlich unlizensierte Software von den Kunden der Beschwerdeführer genutzt wurde und gegebenenfalls Computer beschlagnahmen.

Als die Polizeibeamten den Computerclub betraten, war dieser offiziell geschlossen. Dennoch waren Leute dort, die Kasse war in Betrieb und es war Geld darin. Die Beamten stellten fest, welche Software auf den Computern installiert war und fragten die Beschwerdeführer nach Quittungen oder Rechnungen für die Computerspiele. Als die Beschwerdeführer keine Rechnungen vorlegen konnten, beschlagnahmten die Polizisten die Computer.

Nach bulgarischem Recht war für eine Beschlagnahme grundsätzlich eine richterliche Anordnung erforderlich. Eine Beschlagnahme durch die Polizei ohne derartige Anordnung war nur in dringenden Umständen möglich. In diesem Falle musste ein Richter die Beschlagnahme binnen 24 Stunden bestätigen.

Noch am Tag der Beschlagnahme beantragte die Staatsanwaltschaft die Bestätigung der Beschlagnahme. Der zuständige Richter genehmigte die Beschlagnahme. In seiner Anordnung schilderte er den Ablauf der Beschlagnahme, verwies auf den Wortlaut der einschlägigen Vorschrift und führte aus, es hätten dringende Umstände vorgelegen, die eine sofortige Beschlagnahme durch die Polizei erforderlich gemacht hätten.

Einen Tag später stellten die Beschwerdeführer den Antrag, die Beschlagnahme nicht zu bestätigen. Dieser Antrag wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Gericht die Beschlagnahme bereits bestätigt hätte und kein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung gegeben sei.

Kurze Zeit später beantragten die Beschwerdeführer beim zuständigen Gericht die Aufhebung der Beschlagnahme und die Rückgabe der Computer. Dabei wiesen sie darauf hin, dass die Computer private Briefe und private Daten über sie und einige ihrer Freunde beinhalteten. Ausserdem legten sie dar, dass sie die Computer für ihre geschäftliche Tätigkeit, einen Schreibservice, benötigten. Der Antrag wurde zurückgewiesen, mit der Begründung die Computer würden derzeit von einem Experten begutachtet und zur Beweissicherung benötigt. Das Gericht setzte sich nicht mit dem Hinweis der Beschwerdeführer auf die privaten Daten auseinander.

Die Antragsteller wurden in letzter Instanz wegen illegaler Überlassung von Software zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Rechtliche Bewertung
Die Beschwerdeführer legten eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein, die sie auf Artikel 8 EMRK (Recht auf Respekt vor dem Privatleben) stützten.

Der EGMR stellte fest, dass die Beschlagnahme der Computer einen Eingriff in das Recht auf Privatleben nach Artikel 8 EMRK darstellte (dies hatte auch Bulgarien als Land, gegen das sich die Beschwerde richtete, nicht bestritten).

Der Gerichtshof wandte sich der Frage zu, ob es für diesen Eingriff eine hinreichende gesetzliche Grundlage gab. Er verwies auf seine ständige Rechtsprechung dahingehend, dass die blosse Existenz eines Gesetzes nicht genügte. Vielmehr müsse die rechtliche Grundlage auch bestimmten Anforderungen genügen. Vor allem müsse sie öffentlich zugänglich sein, klar erkennbar machen, unter welchen Umständen Eingriffe erfolgen könnten und rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen. Um rechtsstaatlichen Grundsätzen zu entsprechen, müsse die Norm vor allem hinreichenden Schutz gegen Willkür bieten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte führte aus, dass der Schutz gegen Willkür in der Regel eine richterliche Kontrolle erforderlich mache. Wo diese nicht im Vorfeld erfolgt sei, könne dies durch eine gerichtliche Prüfung der Massnahme im Nachhinein ausgeglichen werden.

Der EGMR äusserte zunächst Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für eine Durchsuchung ohne vorherige richterliche Anordnung vorgelegen hätten. Da die Strafanzeige mehr als einen Monat vor der Beschlagnahme erstattet worden sei, wäre genug Zeit gewesen, erste Ermittlungen anzustellen und einen richterlichen Beschluss zu beantragen.
Vor allem setzte sich der Gerichtshof jedoch mit der richterlichen Prüfung der Beschlagnahme auseinander. Er führte aus, dass das zuständige Gericht lediglich die Beschlagnahme in tatsächlicher Hinsicht dargestellt und auf die Dringlichkeit der Umstände hingewiesen hätte. Es hätte aber nicht ausgeführt, woraus sich die Dringlichkeit der Umstände ergeben hätte. Auf den Antrag auf Aufhebung der Beschlagnahme hätte das Gericht lediglich darauf hingewiesen, dass die Computer zur Beweissicherung benötigt würden. Der EGMR wies jedoch darauf hin, dass sich das Gericht überhaupt nicht mit der Behauptung der Beschwerdeführer auseinandergesetzt hatte, dass die Computer private Daten enthielten. Da die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Argumenten der Beschwerdeführer oder Problemen des Falles fehlte, stellt der Gerichtshof eine Verletzung von Artikel 8 EMRK fest.

Der EGMR hat damit erneut betont, dass es keine effektive richterliche Kontrolle ist, wenn ein Gericht eine Massnahme lediglich bestätigt. Erforderlich ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit den Umständen des Einzelfalles und mit Argumenten des Betroffenen.

Prezdharovi gegen Bulgarien, Urteil vom 30.09.2014, Beschwerde Nr. 8429/05

Allgemein Artikel 8 EMRK, Beschlagnahme, Recht auf Privatleben

Rechtsanwalt Holger Hembach

  • Datenschutzerklärung
  • Impressum