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Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

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Abwägung zwischen Pressefreiheit und Recht auf Privatleben – Kurier Zeitungsverlag GmbH gegen Österreich

Holger Hembach · 24. Juni 2012 ·

 

Im Fall Kurier Zeitungsverlag GmbH gegen Österreich hat sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erneut mit dem Spannungsfeld zwischen dem Recht auf Privatleben nach Artikel 8 EMRK und der Meinungs- und Pressefreiheit (Artikel 10 EMRK) auseinandergesetzt.
 
Der Beschwerdeführer war ein Verlag, der den  „Kurier“ herausgibt, eine bekannte österreichische Tageszeitung. Der Verlag war wegen der Berichterstattung des „Kurier“ über ein Sorgerechtsverfahren und über die Zwangsvollstreckung, die sich daran anschloss, zu Schadensersatz verurteilt worden. Die Verurteilung zu Schadensersatz war auf das österreichische Mediengesetz gestützt. 
 
Nach § 7 des Mediengesetzes kann ein Medieninhaber zu Schadensersatz verurteilt werden, wenn das Medium, das er betreibt, den höchstpersönlichen Lebensbereich eines Menschen in bloßstellender Weise darstellt. Der Anspruch auf Schadensersatz ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Berichterstattung wahrheitsgetreu ist und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben steht.
 
Der „Kurier“ hatte drei Artikel über einen Sorgerechtsstreit und das Verfahren zu Vollstreckung des Urteils in diesem Rechtsstreit veröffentlicht. Ein Ehepaar mit zwei Kindern hatte sich getrennt und vereinbart, dass jeweils ein Elternteil das Sorgerecht über ein Kind ausüben sollte. Kurze Zeit später beantragte der Vater jedoch, auch das Sorgerecht über seinen Sohn Christian zugesprochen zu bekommen. Die Eltern vereinbarten, dass er die Sorge zeitweilig ausüben sollte, bis ein Gutachten zur Vorbereitung einer gerichtlichen Entscheidung erstellt wäre. Der Vater hielt sich jedoch nicht an die Vereinbarung und setzte sich nach Schweden ab.
 
Ein Gericht ordnete zunächst im einstweiligen Verfügungsverfahren an, dass Christian in die Obhut seiner Mutter gegeben werden sollte. Auch im Hauptsacheverfahren wurde entschieden, dass die Mutter das Sorgerecht behalten sollte. Der Vater weigerte sich jedoch, seinen Sohn der Mutter zu übergeben. Daraufhin unternahm die Justiz mehrere Versuche, das Urteil durchzusetzen. Bei einer Gelegenheit verbarrikadierte sich Christian in seiner Schule; ein anderes Mal wurde er in einem Auto vor seinem Haus angetroffen, setzte sich aber dagegen zur Wehr, mitgenommen zu werden.
 
Der "Kurier" berichtete über diese Vorfälle in insgesamt drei Artikeln. Die Journalisten erhielten regelmässige Informationen vom Vater des Kindes. Die Artikel setzten sich kritisch mit der Rolle der Justiz bei der Vollstreckung auseinander. Ein Beitrag zeigte ein Bild von Christian, der weinte und aufgewühlt schie, bei einem Versuch, ihn in die Obhut seiner Mutter zu geben. Der Beitrag enthielt den Namen und Wohnort des Kindes.
 
Christian verklagte, vertreten von seiner Mutter, die Kurier Verlags GmbH auf Schadensersatz wegen Eingriffs in seinen höchstpersönlichen Lebensbereich. In letzter Instanz wurde ihm Schadensersatz in Höhe von 9.000 Euro zugesprochen.
 
Nach Auffassung des Verlages war dies eine Verletzung der Pressefreiheit gemäß Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
 
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte fest, dass die Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz einen Eingriff in die durch Artikel 10 EMRK garantierten Rechte darstellte. Er setzte sich dann mit der Frage auseinander, ob dieser Eingriff nach Artikel 10 Absatz 2 EMRK gerechtfertigt gewesen war. 
 
Aus Sicht des Gerichts bestand kein Zweifel, dass es eine gesetzliche Grundlage für den Eingriff gab und dass er einem legitimen Ziel, nämlich dem Schutz der Reputation eines anderen gedient hatte.
 
Die einzig problematische Frage bestand aus Sicht des Gerichtshofes darin, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ gewesen war. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist das nur dann der Fall, wenn die Beschränkung einem „dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis“ entspricht.
 
Der EGMR betonte die Bedeutung der freien Presse für eine demokratische Gesellschaft. Gleichzeitig wies er aber darauf hin, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung und das Recht auf Schutz des Privatlebens gegeneinander abgewogen werden müssen.
 
Hierbei sei zu berücksichtigen, ob die Person, über die berichtet wird, bereits in der Öffentlichkeit stand. Menschen, die bereits im Licht der Öffentlichkeit stehen, müssen sich weitergehende Eingriffe in ihr Recht auf Privatleben gefallen lassen als unbekannte Personen. In diesem Zusammenhang stellt der EGMR fest, dass Christian vor der Berichterstattung keine Person von öffentlichem Interesse gewesen war.
 
Ausserdem spiele es eine Rolle, inwieweit die Beiträge in der Presse einen Beitrag zu einem Thema von gesellschaftlichem Interesse geleistet hätten. Der Gerichtshof erkannte an, dass die Kritik am Verhalten der Justiz ein Gegenstand ist, an dem ein Interesse der Allgemeinheit besteht. Nach Auffassung des EGMR war allerdings die Enthüllung der Identität des Kindes nicht notwendig gewesen, um diesen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten.
 
Der Gerichtshof führte auch aus, dass die Veröffentlichung des Bildes ein schwerwiegender Eingriff in das Recht auf Privatleben ist. Für diesen sah der EGMR in diesem Fall keine Rechtfertigung. Er wies darauf hin, dass Veröffentlichungen dann weniger Schutz durch die Meinungs- und Äusserungsfreiheit geniessen, wenn sie vor allem Neugier befriedigen sollen.
 
Schliesslich stellte der EGMR auch fest, dass die Höhe des Schadensersatzes, den die Beschwerdeführerin zahlen musste, nicht exzessiv war. Daher verneinte er eine Verletzung von Artikel 10 EMRK.
 
Kurier Zeitungsverlag GmbH gegen Österreich, Urteil vom 17.01.2012, Beschwerde Nr. 3401/07
 

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