• Zur Hauptnavigation springen
  • Skip to main content
The Business of Human Rights

Rechtsanwalt Holger Hembach

Beschwerde beim EGMR - Individualbeschwerden

  • Beschwerden beim EGMR
  • Rechtsanwalt
  • EMRK
    • Artikel 8 EMRK
    • Artikel 10 EMRK
    • Recht auf Eigentum nach Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK
    • Margin of appreciation (“Einschätzungsspielraum”)
  • Kosten
  • Blog
  • Buch
  • Kontakt
  • Show Search
Hide Search

Durchsuchungen ohne Tatverdacht im Hinblick auf Artikel 8 EMRK

Holger Hembach · 13. Juni 2012 ·

 

Im Fall Colon gegen die Niederlande hat sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage auseinandergesetzt, ob es gegen das Recht aufPrivatleben (Artikel 8 EMRK) verstösst, wenn Personen ohne Tatverdacht durchsucht werden dürfen.
 
Nach niederländischem Recht kann der Bürgermeister bestimmte Gebiete zur „besonderen Risikozone“  erklären. Danach hat der der zuständige Staatsanwalt die Möglichkeit, anzuordnen, dass für die Dauer von zwölf Stunden alle Personen, die in dieser Zone angetroffen werden, durchsucht werden dürfen – auch ohne, dass der Verdacht einer Straftat vorliegt.
 
Bevor der Bürgermeister eine Zone zur Sicherheitszone erklärt, muss er sich mit dem Staatsanwalt abstimmen. Ausserdem ist er verpflichtet, regelmässig die Polizei über die allgemeine Sicherheitslage zu konsultieren.
 
In dem Fall, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden hat, hatte der Bürgermeister ein bestimmtes Gebiet von Amsterdam zur besonderen Risikozone erklärt. In diesem Gebiet war es über längere Zeit immer häufiger zu Gewaltdelikten mit Einsatz von Waffen gekommen. Nach der Bestimmung zur Risikozone ordnete der Staatsanwalt an, dass Durchsuchungen von Personen ohne bestimmten Tatverdacht zulässig sein sollten.
 
Der Beschwerdeführer, Herr Colon, wurde von einem Polizisten aufgefordert, sich durchsuchen zu lassen. Als er sich weigerte, wurde er zur Polizeiwache gebracht. Er wurde angeklagt, weil er eine rechtmässige Anordnung eines Polizeibeamten nicht befolgt hatte und zu einer Geldstrafe von 150 Euro verurteilt. Das Urteil wurde schliesslich in letzter Instanz bestätigt.
 
Obwohl der Beschwerdeführer gar nicht durchsucht worden war, stellte der EGMR fest, dass ein Eingriff in das Recht auf Privatleben nach Artikel8 EMRK vorgelegen hätte. Denn es hatte die Möglichkeit bestanden, dass der Beschwerdeführer jederzeit durchsucht werden konnte. Nach Auffassung des EGMR liegt schon darin ein Eingriff. Allerdings kam der EGMR zu der Auffassung, dass der Eingriff nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK gerechtfertigt war, so dass keine Verletzung des Rechts auf Privatleben vorlag.
 
Es ist interessant, diese Entscheidung mit dem Urteil im Fall Gillan und Quinton gegen das Vereinigte Königreich zu vergleichen. Auch in diesem Fall ging es um Durchsuchungen von Personen unabhängig von einem Tatverdacht. Der EGMR sah hierin eine Verletzung des Rechts auf Privatleben nach Artikel 8 EMRK. Die beiden Fälle machen die Anforderungen deutlich, die der EGMR an Gesetze stellt, die Eingriffe in das Recht auf Privatleben rechtfertigen sollen.
 
In Anbetracht der Gefahren durch den Terrorismus, vor allem im Zusammenhang mit dem Konflikt in Nord-Irland, hatte das britische Parlament im Jahr 2000 ein Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus erlassen. Dieses Gesetzt sah vor, dass bestimmte hochrangige Polizeibeamte das Recht hatten, anzuordnen, dass in festgelegten Gebieten jeder uniformierter Polizist ohne besondere Veranlassung Personen anhalten und oberflächlich durchsuchen konnte.
 
Diese Anordnungen waren keine öffentlich zugänglichen Dokumente. Sie mussten durch den Minister bestätigt werden, nachdem sie erlassen worden waren. Ausserdem war der Minister verpflichtet, jährlich an das Parlament über den Gebrauch solcher Massnahmen zu berichten.
 
Sowohl im Fall Colon g. die Niederlande als auch in dem britischen Fall stellte das Gericht einen Eingriff in das Recht auf Privatleben fest. Was die beiden Fälle unterscheidet, ist, dass dieser Eingriff in dem niederländischen Fall gerechtfertigt war, in Gillan und Quinton gegen das Vereinigte Königreich dagegen nicht.
 
Nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK können Eingriffe in das Recht auf Privatleben gerechtfertigt sein, wenn sie auf einem Gesetz beruhen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat klargestellt, welche Anforderungen Gesetze erfüllen müssen, um einen Eingriff in das Recht auf Privatleben zu rechtfertigen. Zu diesen Anforderungen gehört, dass die Grundlage für den Eingriff öffentlich ist (so dass sich jeder über sie informieren kann und weiss, unter welchen Umständen er mit einem Eingriff in das Recht auf Privatleben rechnen muss).
 
Nur in dem niederländischen Fall waren diese Anforderungen erfüllt: Sowohl die Erklärung eines Gebietes zur besonderen Risikozone als auch die Anordnung des Staatsanwaltes, dass Durchsuchungen erfolgen dürfen, waren öffentlich zugängliche Dokumente. Dagegen war in Grossbritannien die Anordnung der Durchsuchungen durch einen hochrangigen Polizeibeamten nicht öffentlich zugänglich.
 
Ausserdem verlangt der EGMR, dass die gesetzliche Grundlage für den Eingriff klar ist und dass es hinreichende „Sicherungsmechanismen“ gibt, die eine effektive Kontrolle dieser Eingriffe gewährleisten.
 
In Grossbritannien mussten die Anordnungen dem Minister vorgelegt werden, der sie bestätigen oder aufheben konnte. Allerdings war dies nach Auffassung des EGMR kein effektives Mittel zur Kontrolle. Denn aufgrund statistischen Materials stellte der Gerichtshof fest, dass der Minister die Anordnungen immer bestätigte. Zwar waren die Anordnungen zeitlich begrenzt, aber sie konnten jederzeit erneuert werden. Ausserdem hatte der Polizist, der die Durchsuchung anordnete, soviel Ermessen, dass es praktisch unmöglich war, ihm einen Missbrauch seiner Befugnisse nachzuweisen.
 
Dagegen konnten in den Niederlanden Bürger das Verwaltungsgericht anrufen um die Erklärung zur besonderen Risikozone aufheben zu lassen. Ausserdem hatte das Strafgericht die Wirksamkeit dieser Anordnung zu prüfen, wenn ein Bürger sich weigerte, sich durchsuchen zu lassen und es deshalb zu einem Strafverfahren kam.
 
Aufgrund dieser Unterschiede sah der EGMR in dem britischen Fall eine Verletzung des Rechtes auf Privatleben, in Colon gegen die Niederlande dagegen nicht.
 
Colong gegen Niederlande, Entscheidung vom 15.05.2012, Beschwerde Nr. 49458/06
 
 

Allgemein

Rechtsanwalt Holger Hembach