Am 31.05.2012 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seine einstweilige Maßnahme im Fall Yuliya Timoshenko gegen Ukraine aufgehoben.
Einstweilige Maßnahmen sind nicht ausdrücklich in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geregelt. Sie werden auf Grundlage von Regel 39 der Regeln des Gerichts („Rules of Court“) erlassen. Diese Regeln hat der Gerichtshof erlassen, um Einzelheiten des Verfahrens vor dem EGMR zu regeln. Nach Art.39 Absatz 1 kann die zuständige Kammer des EGMR oder der Präsident dieser Kammer einstweilige Massnahmen anordnen, wenn dies im Interesse der Parteien oder der ordnungsgemäßen Führung des Verfahrens angemessen erscheint.
Einstweilige Massnahmen werden vor allem in Fällen erlassen, in denen die Gefahr eines irreparablen Schadens für ein essentielles Recht besteht. Sie sollen verhindern, dass bereits vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor der Gerichtshof über die eigentliche Beschwerde entscheiden kann. Die häufigsten Anwendungsfälle sind drohende Verletzungen des Rechts auf Leben nach Artikel 2 EMRK und des Verbot von Folter und erniedrigender Behandlung (Artikel 3 EMRK).
In dem Fall Mamatkulov und Askarov gegen die Türkei hat der EGMR entschieden, dass einstweilige Massnahmen für die Staaten, die die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert haben, verbindlich sind. Respektiert ein Staat solche Massnahmen nicht, dann verstösst dies nach dieser Entscheidung seinerseits gegen die Europäische Menschenrechts-konvention.
Die einstweilige Massnahme im Fall Timoshenko stand im Zusammenhang mit einer Beschwerde, die Frau Timoshenko beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht hatte. In dieser Beschwerde behauptete sie unter anderem, dass das Strafverfahren gegen sie politisch motiviert sei und dass ihre Haftbedingungen, der Mangel an medizinischer Versorgung und der fehlende Zugang zu Ärzten gegen die EMRK verstiessen.
Der EGMR hatte am 15. März eine einstweilige Massnahme erlassen, in der der Gerichtshof anordnete, dass Frau Timoshenko eine angemessene medizinische Versorgung erhalten möge. Daraufhin hatte die Ukraine sie in ein Krankenhaus überstellt und ihr eine Untersuchung durch einen deutschen Neurologen ermöglicht. In Anbetracht dieser Entwicklungen erachtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die einstweilige Massnahme als nicht länger notwendig und hob sie auf.
Gleichzeitig lehnte er einen Antrag von Frau Timoshenko ab, eine Überstellung in eine deutsche Klinik anzuordnen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kündigte an, den Entwicklungen in diesem Fall weiter zu folgen.